Mit brennendem Eifer
Sieben Bemerkungen zu Friedfertigkeit und Gewaltbereitschaft in den Religionen
Am 8. September 2011 fand in der Französischen Friedrichstadtkirche eine Veranstaltung zum zehnten Jahrestag der Anschläge vom September 2001 statt. Akademiedirektor Rüdiger Sachau begrüßte die rund hundert Gäste mit sieben kurzen Überlegungen zum Thema.
1. Neue Wahrnehmung der Religion
„Diplomaten meiner Generation sind noch mit der Überzeugung ausgebildet worden, dass die Welt auch ohne die Religion schon kompliziert genug ist. ‚Lasst Gott außen vor’ war früher ein Standardspruch.“ So erzählt die ehemalige US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright in einem Interview. Und sie macht deutlich, dass diese Auffassung überholt ist. Albright betont, „dass wir um die Religion keinen Bogen machen können.“ Das sagte Albright 2006. Und es ist ja so, dass diese veränderte Wahrnehmung der Religion wesentlichen Anstoß durch die Anschläge vom 11. September 2001 bekommen hat, an die in diesen Tagen in den Medien wie auch bei Gedenkveranstaltungen erinnert wird.
Leider muss man sagen, dass 9/11 die Religion überhaupt und den Islam im besonderen in ein negatives Licht gerückt hat. Hatte man bis dahin in den aufgeklärten westlichen Gesellschaften in Europa wie Nordamerikas gedacht, dass Religion in einem Prozess fortschreitender Säkularisierung aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden würde oder dass sie bestenfalls als Privatangelegenheit weiter bestehen würde, wurde sie nun in Gesellschaften, die sich dem Thema verweigert hatten, in die Agenda der öffentlichen Diskurse hineingeschrieben.
2. Zuschreibungen
Darauf waren weder die politisch Verantwortlichen, noch die kritische Öffentlichkeit vorbereitet. Folglich griff man instinktiv zu Mustern der Zuschreibung, die man unterschwellig zur Hand hatte. Jeder religiöse Mensch unter uns kennt diese Erfahrung wahrscheinlich. Ich jedenfalls erlebe immer wieder mit ermüdender Redundanz, wenn ich mich als Christ erkennbar mache, dass Menschen über mich herfallen mit vorwurfsvollen Fragen folgender Art: „Wie kannst Du in der Kirche sein, angesichts der Kreuzzüge, von Hexenverbrennungen und aggressiver Missionierung Andersgläubiger? Überhaupt: der Papst… und wenn ihr Christen euch nicht mal einigen könnt, das ist doch alles nicht glaubwürdig.“
Ich erlebe, dass meine Religion reduziert wird auf einige ihrer schwierigen Seiten. Auf ihr Versagen und ihre Fehler, die unstrittig sind. Aber das ist doch noch nicht die ganze Sache. Juden und Muslime unter uns werden ähnliche Erfahrungen kennen, die Fragen und Vorwürfe sind andere, aber das Muster ist vergleichbar: Religion wird gleichgesetzt mit Fanatismus, Intoleranz und Gewaltausübung gegenüber anderen.
Was mir solche Situationen schwer macht, ist die Reduktion, die Verweigerung, auch die andere Seite zu sehen. Wenn ich von der versöhnenden Botschaft Jesu spreche, von der Haltung der Vergebung, sogar der Feindesliebe, die zur Kernüberzeugung des christlichen Glaubens gehören sollte, dann will ich doch nicht die negativen Seiten relativeren. Ich möchte lediglich, dass beides gesehen und anerkannt wird.
3. Ambivalenz der Religion
Religion kann zerstören und Religion kann heilen, Religion kann Mut machen zum Leben und Leben verachten. Die israelische Theatermacherin Yael Ronen ist zur Zeit wieder in unserer Stadt mit einem Stück an der Schaubühne Berlin: »The Day Before the Last Day«. Mit jüdischen, christlichen und muslimischen Schauspielern setzt sie sich mit Religionen wie mit Religionslosigkeit auseinander. Sie sagte einmal sehr zutreffend über die Ambivalenz der Religionen: „Religion ist wie ein starkes Feuer, das entweder heilsbringende oder zerstörerische Kräfte entfesseln kann“.
4. Verhalten und Engagement
Diese Ambivalenz ist Anlass zu einer Frage an uns selber: Wie leben wir unsere Religion? Jede und jeder von uns ist gefragt nach seinem und ihrem Verhalten und konkreten Handeln. Die Heiligen Schriften liefern uns Argumente für Gewalt wie für Frieden, was aber wählen wir? Aus dieser Verantwortung ist kein Mensch entlassen.
Die Ambivalenz der Religionen, ihre Fähigkeiten zum Guten wie zum Bösen, lässt sich nach meiner Überzeugung nicht vermeiden. Wer einer Religion angehört, ist herausgefordert mit ihr und in ihr zu leben. Die Haltung des unberührten Flaneurs ist in Dingen der Religion nicht gegeben. Sie lässt sich nicht neutralisieren, sie verlangt Beteiligung, Engagement und Entscheidung. Die Verbindlichkeitserwartung macht die Religion für viele Menschen so schwer, und gleichzeitig liegt hier das Geheimnis ihrer Stärke.
5. Eifer
Gläubige und mutige Menschen sollen wir sein. Diesen Wunsch tragen alle Religionen in sich und darum haben wir diesen Abend „Mit brennendem Eifer“ überschrieben. Eifer kann nämlich positiv wie negativ sein. Da ist der eifrige Schüler, Eifer ist der Ausdruck für ernsthaftes Bemühen, für das Verfolgen eines Ziels. Solche Menschen brauchen wir, die sich beteiligen und nicht im Wartestand verharren. Eifer ist die Begeisterung für eine Sache.
Martin Luther hat das Wort in unsere Sprache eingeführt, er verwendet es mit der Bedeutung „aus Sorge und liebevoller Anteilnahme erwachsende zornige Erregung“, wie uns das Etymologische Wörterbuch der Deutschen Sprache lehrt.
In der biblischen Tradition stellt sich Gott als ein eifernder Gott vor. Im Buch Exodus, bei der Gabe der 10 Gebote, wird uns untersagt, Götterbilder zu schaffen. Dort heißt es: „Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich leben und meine Gebote halten.“ (2. Mose 20,5-6) Und der Apostel Paulus stellt sich in seiner Verteidigungsrede in Jerusalem folgendermaßen vor: Ich „war ein Eiferer für Gott, wie ihr es heute alle seid.“ So die Apostelgeschichte in 22,3.
6. Ambivalenter Eifer
Der Eifer kann also etwas sehr Gutes sein, ein ernsthaftes und umfassendes Engagement. Aber er kann uns auch entgleiten, kann zu Zorn und Eifersucht (!) führen. Auf jeden Fall kann es immer nur einen Eifer geben, das Wort ist ein Singularetantum: Eifer gibt es nur im Singular, nicht im Plural. Wer brennenden Eifer verspürt, für eine Sache begeistert ist, wird keinen ebensolchen Eifer für etwas anderes aufbringen können.
Diese Ausschließlichkeit aber ist ein Problem, wenn Menschen, die für Unterschiedliches eifern, miteinander leben wollen und sollen. Damit sind wir bei der Frage unseres Abends: Wann wird der Eifer für eine Überzeugung, ein Glauben zu einem Eifer gegen andere Menschen und ihren Glauben?
Damit komme ich zurück zu den Überlegungen über die Ambivalenz der Religion. Religion, Glaube kann die größten Kräfte mobilisieren - ob wir diese zum Guten oder zum Bösen einsetzen, hängt von uns selber ab. Zehn Jahre nach 9/11, im Rückblick auf alles, was seitdem geschah, nehmen wir die Gewaltbereitschaft der Religionen sehr viel deutlicher war. Denn Religion ist nicht harmlos.
7. Fähigkeit zum Frieden
Was wir aber immer noch nicht mit gleicher Intensität beachten, ist die Fähigkeit zum Frieden, den die Religionen ins uns, in jeder Religion wachrufen können. „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Matthäus 5,9) Weil ich dieser umfassenden Vision Jesu aus der Bergpredigt vertraue, glaube ich, dass doch ein zweifacher Eifer möglich ist: Neben der Begeisterung für meine Religion auch der Eifer für das friedliche Miteinander unterschiedlichen Religionen. Dieser Eifer für den Frieden unter den Menschen unterschiedlichen Eifers ist ein Eifer zweiter Ordnung, er muss im Eifer jeder Religion selbst gewonnen werden.
Darum wollen wir heute Abend auch ganz offen über die Ambivalenzen der Religionen sprechen, über Gewaltbereitschaft und Friedfertigkeit.
Rüdiger Sachau
Erschienen am 11.02.2014
Aktualisiert am 01.03.2014