Panikmache oder reale Bedrohung?
Tagung thematisierte Infektionskrankheiten als Herausforderung für die moderne Medizin
02. Dezember 2013
Wie von einem Pfeil aus heiterem Himmel, so fühlten sich die alten Griechen von Krankheiten getroffen; Artemis oder ihr Bruder Apoll, so hieß es, waren die Schützen. Auch Hiob, so steht es in der Bibel, bezeichnete sich, als er am ganzen Körper von Geschwüren befallen wurde, als von einem durch Gott gesandten vergifteten Pfeil getroffen. Mit einem Vortrag über Infektionskrankheiten und ihren Einfluss auf die Bildende Kunst begann die Tagung „Tödlich trotz Hightech-Medizin“ am 2. Dezember 2013.
Professor Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin machte deutlich, dass derartige Vorstellungen in der kulturellen Verarbeitung von Infektionen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein präsent waren. Erst als im 19. Jahrhundert naturwissenschaftliche Erklärungen das Verständnis von Infektionskrankheiten grundlegend veränderten, wandelte sich auch ihre kulturelle Wahrnehmung, betonte Ulrichs in seinem Einführungsvortrag. Die Darstellung von Krankheiten - vormals ein beliebtes künstlerisches Motiv - nahm ab; man konzentrierte sich nun weitgehend auf wissenschaftliche Illustrationen. Die wissenschaftliche Durchdringung der Krankheitsursachen, so Ulrichs Fazit, habe den numinosen Schrecken von Seuchen reduziert, sodass ihre Darstellung für Künstler allmählich uninteressant geworden sei.
In einem zweiten Vortrag skizzierte Professor Jörg Vögele vom Institut für Geschichte der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf unter der Überschrift „Vom ‚Schwarzen Tod‘ zur Schweinegrippe“ Erfahrungen aus der Medizingeschichte. Er legte dar, dass der Rückgang von Infektionen nicht zwangsläufig nur mit der Entwicklung eines wirksamen Medikaments zusammenhänge: Häufig sei deren Zahl schon gesunken, bevor ein solches Medikament zur Verfügung gestanden habe. Vögele zufolge sei die Bedeutung von medizinischen Durchbrüchen aus medizingeschichtlicher Sicht deshalb heute zu relativieren.
Dass die Entwicklung und Bereitstellung von Medikamenten bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten trotzdem einen bedeutenden Faktor darstellt, wurde auch im Blick auf gegenwärtige Herausforderungen, etwa am Beispiel des 2009/2010 grassierenden H1N1-Virus deutlich, gegen den zunächst keine wirksamen Medikamente bereitstanden. Im Rahmen der Diskussion darüber, wie mit einer solchen Situation umzugehen ist, unterstrich Meike Srowig von ZDF Digital in ihrem Beitrag „Zwischen Medienhype und echter Bedrohung“ die Rolle der offiziellen Informationspolitik. Sie habe damals als freie Journalistin für die BBC und das ZDF über die Schweinegrippe berichtet und angesichts der Informationsflut Schwierigkeiten gehabt, an fundierte Informationen kommen. Srowig appellierte für eine aktivere Informationspolitik der beteiligten Akteure.
Im Rahmen der Podiumsdiskussion über Interessenskonflikte und mangelnde Verantwortung beim Umgang mit Infektionskrankheiten versicherte Professor Martin Mielke vom Robert-Koch-Institut (RKI), dass die Notwendigkeit einer besseren Informationspolitik erkannt worden sei. Sowohl das RKI als auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hätten ihre Informationsstrategien optimiert. Im Fall einer neuen Infektionswelle werde das RKI verstärkt Pressekonferenzen anbieten und auch in sozialen Netzwerken sei es inzwischen stärker präsent.
Dr. Antina Ziegelmann, Oberregierungsrätin beim BMG ergänzte, dass die Erfahrungen im Zuge der Schweinegrippe gezeigt hätten, dass insbesondere in der Abstimmung von Bundes- und Landesstrategien ein erhebliches Verbesserungspotenzial liege. Auch hier sei man mit den Bundesländern inzwischen aber auf einem guten Weg.
Neben dem Auftreten akuter Infektionen wurde auch die große Gefahr der zunehmenden Resistenz bereits bekannter Keime thematisiert. Skeptisch äußerte sich der Vertreter des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller, Professor Siegfried Thom, zu der Frage nach der Forschung an neuen Antibiotika in diesem Zusammenhang. Er vertrat die Ansicht, dass die Arzneimittelforschung durch den Markt bereits bedarfsgerecht gesteuert werde. Zustimmung erhielt Thom von Ministerialdirigentin Petra Steiner-Hoffmann vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Dr. Antina Ziegelmann. Beide Regierungsvertreterinnen unterstrichen in diesem Zusammenhang, dass die Entwicklung neuer Arzneien nicht die alleinige Lösung sein könne. Eine große Rolle bei der Entstehung und Ausbreitung von Resistenzen spiele beispielsweise der großflächige Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung. Ziegler wies darauf hin, dass das BMG deshalb gemeinsam mit dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Strategien entwickle, um eine Veränderung dieser Praxis zu erreichen. Untersuchungen hätten auch gezeigt, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl des in den jeweiligen Krankenhäusern eingesetzten Personals und der Infektionsrate der Patienten mit MRSA gebe. Die Ausbreitung von MRSA verweise somit auf ein grundlegendes Problem in ambulanten und stationären Einrichtungen.
Public Health-Konzepte zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten im Allgemeinen waren das Thema eines Vortrags von Professor Alexander Krämer von der Universität Bielefeld. Er führte aus, dass zahlreiche Faktoren gäbe, die dazu beitragen können, dass eine Person tatsächlich erkranke. So habe etwa die Ernährung einen großen Einfluss auf die Vulnerabilität eines Menschen, ebenso die Schadstoffbelastung der Luft. Global gesehen sei offensichtlich, dass Vertreter ärmerer Bevölkerungsschichten häufiger an Infektionen erkranken als andere.
Obwohl die Herausforderungen, die auf nationaler wie internationaler Ebene mit Infektionskrankheiten verbunden sind, beträchtlichen Umfang aufweisen, schenkt die Medizinethik diesen Krankheiten bisher nur wenig Beachtung. Dies sagte Professor Walter Bruchhausen vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der RWTH Aachen. Bruchhausen, dessen Beitrag die sozialethische Perspektive auf die Bewältigung von Infektionskrankheiten zum Thema hatte, führte diesen Umstand darauf zurück, dass die Medizinethik in Westeuropa und den USA zu einer Zeit entstanden sei, als man glaubte, die Infektionskrankheiten überwunden zu haben.
„Insgesamt gelang es der Tagung, das Bewusstsein für die komplexen Zusammenhänge von Infektionen zu schärfen“, bilanzierte Studienleiterin Simone Ehm. Es sei deutlich geworden, dass die Bekämpfung von Infektionskrankheiten unter Berücksichtigung einer globalen Perspektive lokal zu erfolgen habe. „Jeder Erreger fordert allerdings eine ganz eigene Vorgehensweise, wodurch die Suche nach allgemeinverbindlichen Bekämpfungsstrategien erschwert wird.“ Dass neben den unersetzlichen medizinischen Errungenschaften auch eine Vielzahl anderer Steuerungsmechanismen dabei helfen könne, neue und unbekannte Infektionen einzudämmen, sei dennoch ein Konsens gewesen, der einen optimistischen Ausblick ermögliche.
Erschienen am 11.02.2014
Aktualisiert am 09.05.2014