Von der Judenfeindschaft Luthers
Nachlese zur Tagung „Gnadenlose Rechtfertigung?“
Luthers judenfeindliche Schriften sind mit den Grundsätzen seiner eigenen Theologie und mit dem Neuen Testament unvereinbar. Diese Überzeugung formuliert der Wissenschaftliche Beirat der Lutherdekade in seiner Schrift "Die Reformation und die Juden. Eine Orientierung“. Am 14. Oktober 2014 hatte der Vorsitzende des Beirats, Udo Di Fabio, diese Schrift dem Kuratorium der Lutherdekade zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017 übergeben. Keinen Zweifel lässt der Beirat darin aber auch daran, dass die Erinnerung an diese Schattenseite der Reformation und die Aufarbeitung der verhängnisvollen Wirkung von Luthers späten Judenschriften zu den unverzichtbaren Aufgaben des Reformationsjubiläums gehört.
Die Tagung „Gnadenlose Rechtfertigung?“ am 9. und 10. November widmete sich dieser unverzichtbaren Aufgabe. Dabei ging es um das Verstehen der theologischen Linien Luthers oder eben der Brüche, die den Reformator zu Judenhass motivierten. „Denn wie wichtig wäre es, dem auf die Spur zu kommen; zu lernen, was uns im Blick auf unsere gesamte Tradition manches Mal schreckt, der Schwenk unserer Religion, unseres Glaubens, der von Feindesliebe zu reden weiß, in die Gewalt“, so Studienleiter Christian Staffa. Säkular gesprochen sei das Erschrecken kaum geringer, „wenn wir uns von dem Wandel einer Kulturnation zu einer hasserfüllten Barbarei berühren lassen“.
Martin Jung, Professor für Historische Theologie an der Universität Osnabrück, bewertete die für seine Zeit sehr judenfreundliche Schrift Luthers von 1523 „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ als „Ausrutscher“; Dr. Peter von der Osten-Sacken, Professor em. für Neues Testament und Christliche-Jüdische Studien an der Humboldt Universität zu Berlin vertrat dagegen die Einschätzung, dieser Text sei als Höhepunkt einer mit der Römerbriefvorlesung begonnenen ernsthaften Wahrnehmung der Juden in der Schrift durch Martin Luther zu verstehen. Sie wurde dann freilich in der folgenden Jahren zugunsten seines Judenhasses aufgegeben.
Die Frage, wie das politische und kirchliche Umfeld Luthers zu beurteilen sei, ob er also eine gängige Position vertrat oder eine besonders aggressive, wurde unterschiedlich beantwortet. „Deutlich war, dass seine Judenfeindschaft deutlich stärkere Töne hatte als viele seiner nicht nur kirchlichen Kollegen, aber auch seine judenfreundlichere Schrift von 1523 und seine Schriftauslegung zwischen 1516 und 1524 trugen offenere Züge als die Schriften vieler seiner Zeitgenossen, auch der reformierten“, so Studienleiter Staffa.
Im Mittelpunkt der Tagung stand außerdem die Frage nach den Auswirkungen des Lutherschen Antijudaismus oder Antisemitismus in den folgenden Jahrhunderten. Konsens bestand in der Auffassung, dass dem Reformator keine Verantwortung für die nationalsozialistische Ideologie des rassistischen Antisemitismus zuzuschreiben ist. Umstritten blieb aber, wie sehr die Anfälligkeit des deutschen Protestantismus für antijüdisches und antisemitisches Denken von Luthers Haltung geprägt war. Es zeigten sich indes Linien einer möglichen gemeinsamen Perspektive: Die Professorin für Kirchengeschichte an der Humboldt Universität zu Berlin, Dr. Dorothea Wendebourg, plädierte für eine umfassendere Perspektive auf die Reformation und gegen eine Fixierung auf Luther. Prof. Dr. Micha Brumlik, Professor em. für Erziehungswissenschaften an der Universität Frankfurt warb für die Wahrnehmung von anderen antijüdischen Elementen in Luthers Theologie. Dr. Klaus Holz von den Evangelischen Akademien in Deutschland vertrat die Position, dass Luthers Einfluss im 19. Jahrhundert gering gewesen sei. Er sehe den deutschen Protestantismus im Nationalen aufgehend und dort seinen antisemitischen Furor entwickelnd. Luthers Schriften seien dann erst als Legitimierung dieser Linie wieder in den Blick geraten.
Vorgestellt wurden auch drei Konzepte für Ausstellungen zum Thema, die in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), der Nordkirche und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) entstanden sind. Auch hier wurden wiederum unterschiedliche Akzente betont. Die Ausstellung der EKHN betone den Zusammenhang von NS-Antisemitismus mit dem Luthers, sagt Christian Staffa, die Präsentation der Nordkirche fokussiere die theologischen Errungenschaften Luthers im Gegenüber zu der Kehrseite seiner Gesetzesfeindschaft, ohne besondere Betonung der Judenschriften. In der Ausstellung der EKBO werde es auch um die unbiblische Verzeichnung der Juden bei Luther als Anhänger einer selbstgerechten Gesetzesreligion ohne Gnade gehen.
„Insgesamt wurde deutlich, dass es unsere Verantwortung bleibt, zu verstehen, und ganz im Sinne der oben zitierten Schrift dieses dunkle Kapitel aufzuarbeiten“, lautet das Fazit von Christian Staffa. „Dies ist unsere Verantwortung nicht um der Aufarbeitung willen, sondern um des Wehrens dieser antisemitischen Gedanken willen, die eben nicht verschwunden sind, nicht aus christlichen Gemeinden schon gar nicht aus der Welt.“
Die Schrift des Wissenschaftlichen Beirats der Lutherdekade: "Die Reformation und die Juden. Eine Orientierung“ lesen Sie hier:
http://www.luther2017.de/sites/default/files/downloads/lutherdekade_reformation_und_die_juden.pdf (PDF-Dokument)
Erschienen am 02.12.2014
Aktualisiert am 08.12.2014