„Es war für beide Seiten gut, sich auszutauschen“
Tagung: Gemeindepartnerschaften zwischen Ost und West
Gemeindepatenschaften zwischen Ost und West waren bis 1989 weit verbreitet; sie trugen maßgeblich dazu bei, dass Christen hüben wie drüben miteinander im Gespräch blieben. Einige Partnerschaften gingen nach dem Fall der Mauer weiter, andere endeten. Bei der Tagung "Wir sind einander begegnet" sollen Erfahrungen von damals erinnert und kritisch geprüft werden. Die Teilnehmer arbeiten heraus, was sie kommenden Generationen weitergeben wollen. Zur Tagung am 5. September können Sie sich hier anmelden.
Ein Interview zum Thema wurde am 8. Juli in der Wochenzeitschrift "Die Kirche" veröffentlicht:
„Es war für beide Seiten gut, sich auszutauschen“
Seit den 1960er Jahren besteht die Partnerschaft zwischen den Kirchenkreisen Luckau, später Lübben, heute Kirchenkreis Niederlausitz und dem Kirchenkreis Koblenz. Ulrike Voigt war ab 1999 Superintendentin in Lübben. Bischof Markus Dröge war Pfarrer und Superintendent in Koblenz. Ein Gespräch über gegenseitige Besuche, Fusionen und was man voneinander lernte.
Markus Dröge: Als ich 1983 als Vikar nach Koblenz kam, war mir der Spreewald schnell ein Begriff. Die „Luckaupartnerschaft“ gehörte zur Identität der Gemeinde. Begonnen hatte es in den 1960er Jahren mit Päckchen schicken. 2000, zur Landesgartenschau, war ich das erste Mal selbst in Luckau, damals war ich noch Gemeindepfarrer in Koblenz. Diese schöne alte Stadt hat mich beeindruckt – und der riesige Dom. Ich dachte aber gleich: Der Bauerhalt ist bestimmt ein Fass ohne Boden.
Ulrike Voigt: Er ist ein bisschen überproportioniert, das stimmt. Im selben Jahr war ich auch zum ersten Mal in Koblenz, als frisch gewählte Superintendentin des Kirchenkreises Lübben. Ich wurde unglaublich nett aufgenommen. Und immer wieder wurde die Befürchtung geäußert, die Verbindung zwischen Koblenz und Luckau könne abbrechen. Zum Glück ist das nicht passiert.
Markus Dröge: Viele Partnerschaften liefen nach 1989 tatsächlich aus. Wenn es weiterging, lag das oft an persönlichen Beziehungen, die entstanden waren, oder ob man gemeinsam neue Themen und Projekte fand.
Ulrike Voigt: Bei uns wurde das gemeinsame Thema der europäische Protestantismus. Nachdem die Kirchenkreise Lübben und Luckau fusioniert waren, hatten wir mit einem Mal vier Partnerschaften: mit Krefeld-Viersen, Solingen, Sankt Wendel im Saarland und Koblenz. Das wurde ein wenig unübersichtlich. In den 90er Jahren haben wir darum die Pfarrkonventreisen erfunden. Über viele Jahre waren wir gemeinsam in Prag, Riga, am Balaton oder Paris. Dort haben wir die evangelischen Gemeinden besucht, uns aber auch immer ausgetauscht.
Markus Dröge: Wir haben viel von unseren Partnern gelernt. Mich hat beeindruckt, dass die Ost-Gemeinden sich das Recht auf freie Meinungsäußerung erkämpfen mussten. Wir im Westen konnten immer reden, ohne Repressionen befürchten zu müssen. Es schien mir darum, als sei der Osten mit einer größeren Ernsthaftigkeit dabei.
Ulrike Voigt: Bei Diskussionen über die Atomnachrüstung in den 80er Jahren waren wir in unseren Gemeinden meist einer Meinung. Wir hatten einen gemeinsamen Gegner. Ich fand es erstaunlich, welche unterschiedliche Positionen es dagegen im Westen in den Gemeinden gab – manche Gemeindeglieder waren eben auch für den Nato-Doppelbeschluss. Nach der Wende gab es auch im Osten plötzlich unterschiedliche politische Gruppierungen und man fing an, sich in den Gemeindekirchenräten fürchterlich zu streiten. Das war neu für uns.
Markus Dröge: Es war für beide Seiten gut, sich über den Systemwandel auszutauschen.
Ulrike Voigt: Ja, in der DDR lösten sich zum Beispiel nach der Wende die Agrargenossenschaften in der DDR auf. Die Bauern im Spreewald hatten das Gefühl, alles geht kaputt. Dass es in der Partnergemeinde Bauern gab, die die gleichen Probleme hatten, half ihnen sehr.
Markus Dröge: Wir im Westen nahmen mit Verwunderung zur Kenntnis, wie im Osten Gemeinden und Kirchenkreise nach und nach fusioniert wurden. Und dann ereilte es uns auch bald.
Ulrike Voigt: In den 90er Jahren haben wir heftig diskutiert, wie wir das kirchliche Leben neu organisieren: Wie viele Gemeinden schafft ein Pfarrer, wie viele Dörfer kann man zu einer Gemeinde zusammenlegen? Die westlichen Kirchenkreise, die Anteil genommen haben, waren auf die Entwicklungen bei sich daher ein bisschen besser vorbereitet.
Markus Dröge: 2000 ging auch bei uns das große Sparen los. Wir mussten sehen, wo wir unsere Partner im Osten noch finanziell unterstützen konnten. An großen Bauvorhaben haben wir uns nicht mehr beteiligt, aber es gab dann ja auch viele kommunale und staatliche Förderungen. Oft waren die Kirchen im Osten schließlich besser instand gesetzt als die im Westen.
Ulrike Voigt: Die Evangelische Grundschule Lübben, die wir 2005 eröffnen konnten, hat aber sehr von Spenden aus Koblenz profitiert.
Markus Dröge: Für ein gezieltes, begrenztes Projekt Geld zu geben, war einfacher. Wir haben zwei-, dreimal im Jahr Kollekten dafür gesammelt.
Ulrike Voigt: Wichtiger als Geld war aber, dass wir zu unseren Partnern mit unseren Fragen gehen und uns Rat holen konnten. Wie verändert sich die Bestattungskultur? Was kann man als Kirchengemeinde von Staat und Kommune erwarten? Wir bekamen ganz viel Hilfestellung in praktischen Fragen, etwa als es darum ging, das Diakonische Werk in Lübben aufzubauen. Und zu festlichen Anlässen haben wir uns gegenseitig besucht. Ich war beispielsweise 2004 zu Ihrer Einführung als Superintendent in Koblenz.
Markus Dröge: Und ich war 2004 auf dem Kreiskirchentag in Calau. Da war ich in Ihrem Pfarrhaus zu Gast.
Ulrike Voigt: Wir hatten die Superintendenten unserer Partnerkirchenkreise eingeladen, eine Bibelarbeit zu halten.
Markus Dröge: 2009 war ich erneut im Spreewald, um mich als Superintendent von Koblenz zu verabschieden. Den Besuch konnte ich gleich damit verbinden, dass ich mich als neuer Bischof vorstellte. Durch die Partnerschaftserfahrungen habe ich eine besondere Beziehung zu Luckau, das merke ich noch heute, wenn ich durch die Stadt gehe.
Erschienen am 03.08.2015
Aktualisiert am 10.08.2015