Blasphemie: Aggression oder Aufklärung?
Bericht zur Tagung
Wer sagt „Das ist blasphemisch!“, markiert eine religiöse Grenze. Warnung und Abwehr stecken im Begriff der Blasphemie, und auch ein Gefühl der Bedrohung. Sie ist die Spur einer Verletzung, einer gefühlten Missachtung dessen, was heilig ist. Die Tagung „Religiöse Identität und Verletzung“ am 28. und 29. November widmete sich der Frage, wie in der pluralen Gesellschaft mit solchen Erfahrungen von Missachtung umgegangen werden kann und soll. Nach welchen Kriterien kann entschieden werden, wann mit Recht von einer Verletzung religiöser Gefühle gesprochen wird? Wie lässt sich dem entgegentreten, dass Gefühle der Diskriminierung populistisch für eine Verschärfung von Konflikten verwendet werden? Die Tagung suchte nach Antworten im interreligiösen Gespräch zwischen christlichen und islamischen Positionen.
Aus christlicher Sicht, so eine Grundtendenz, gehören Blasphemie und Religion untrennbar zusammen: Das Blasphemische ist hier eine notwendige Provokation zur Erneuerung und Klärung des Glaubens und der Glaubensgemeinschaft. Mit Trennungen der Gemeinschaft in einem Geist versöhnter Verschiedenheit leben zu lernen, ist eine zutiefst protestantische Erkenntnis, durch jahrhundertelange Auseinandersetzungen teuer erkauft – und ein uneingelöster Auftrag bis heute.
Aus islamischer Sicht zeichnete sich bei der Tagung ab, dass Gotteslästerung im tiefsten Sinn nicht Allah betrifft, sondern das Zusammenleben: Das Geschöpf kann Gott gar nicht zu nahe treten, aber die religiöse Gemeinschaft wird aus islamischer Sicht durch Blasphemisches empfindlich gestört und in Konflikte gebracht. Aus Sorge um den Erhalt der Gemeinschaft kann dabei eine Haltung entstehen, die Kritik misstraut – und auch inner-islamische Traditionen subversiver Kritik ausblendet. Alle Beteiligten waren sich einig: Gewalt, die sich auf „Blasphemie“ beruft, ist zu verurteilen. Interreligiös, so ein zweiter Konsens, geht es darum, Stereotypen vom jeweils anderen abzubauen und die Freiheit der demokratisch verfassten Gesellschaft mitzutragen.
Wie aber umgehen mit konkreten Erfahrungen von Missachtung oder gar Verletzung aufgrund der religiösen Identität? Der muslimische LER-Lehrer Cagatay Caliskan (Berlin) berichtete aus seiner Arbeit mit weltanschaulich gemischten Schülergruppen. Die Schule habe eine Schlüsselrolle dabei, Jugendliche und Kinder mit anderen Weltanschauungen angstfrei in Berührung zu bringen – und sie zugleich dazu zu befähigen, eine gefestigte eigene religiöse Identität zu entwickeln. Hier schloss sich der Berliner Imam Ferid Heider an – und setzte hinzu, dass der Abbau von Feindbildern gegenüber „dem Islam“ eine wichtige Aufgabe für das friedliche Zusammenleben ist. Die evangelische Theologin und interkulturelle Trainerin Dr. Christina Kayales (Hamburg) verwies darauf, dass Erfahrungen der religiösen Missachtung starke Gefühle wecken. Aus seelsorgerlicher Sicht ist erst den Gefühlen Raum zu lassen, bevor ein rationales Gespräch beginnen kann. Dem lässt sich in gewisser Weise auch aus systematisch-theologischer Sicht zustimmen, wenn man dem Modell des empathischen Dialogs folgt, das Prof. Dr. Ralf Wüstenberg (Universität Flensburg) vorstellte.
PD Dr. Eva Harasta
Erschienen am 05.12.2016
Aktualisiert am 05.12.2016