„Wir brauchen eine Theologie des Einen“
Vortrag von Rabbiner Yehoyada Amir
„Das Volk Abrahams wird gesegnet werden, aber nicht um seines selbst willen, sondern um ein Segen für die ganze Menschheit zu werden.“ Diese Überzeugung vertritt der Jerusalemer Rabbiner Professor Yehoyada Amir. Im März 2015 hatte der Rabbiner im Rahmen der Akademieveranstaltung „An welchen Gott wir glauben“ über die Erwählung des jüdischen Volkes in der jüdischen Theologie gesprochen. Sein Vortrag erhält im Vorfeld der Tagung der Synode der EKD, bei der ein Beschluss zum Thema Judenmission gefasst werden soll, erneute Aktualität.
Aus Sicht Yehoyada Amirs ist die Erwählung Israels „nur temporal“. Denn: „Gott ist der einzige Gott der Menschheit.“ Deswegen könne eine Erwählung nur ein Mittel sein und eine besondere Verantwortung definieren. „Die Erlösung Israels kann nicht anders sein als Teil der menschlichen Erlösung überhaupt.“ Die Erwählung möchte der Rabbiner als „Partikularität um der Universalität willen“ verstanden wissen, als „eine Sonderung, die als Ziel die ursprüngliche messianische Gleichheit hat“.
Yehoyada Amir weiß, dass diese Ansicht von vielen jüdischen Gläubigen nicht geteilt wird. „Statt Verantwortung im Blick auf die ganze Menschheit setzten sich Versionen einer einfachen Superiorität des Volkes Israel durch.“ Eine solche Perspektive sei erklärlich, betont der Rabbiner, sie gehöre zur jüdischen Geschichte, zu einem Bewusstsein, das „in Not und Leiden gebildet wurde“. Trotzdem glaube er, dass die moderne jüdische Existenz „und besonders die politische Israeli-Existenz uns fordern, auf die Idee der Erwählung zu verzichten“. Gebraucht werde eine „Theologie des ‚Einen‘“, die Raum für alle Religionen lasse, ein offener und weiter Raum für Vielfalt zwischen den Religionen und innerhalb jeder Religion.
„Es gibt viele Wege zum ‚Einen‘, wir sind nicht exklusiv erwählt, betonte Yehoyada Amir.“ Im Blick auf die anderen monotheistischen Religionen unterstrich er: „Es kann andere partikulare Bünde geben. Meine jüdische Partikularität kann einen weiteren Platz für andere Partikularitäten lassen, für andere Bünde zwischen Gott und anderen menschlichen ‚Familien‘.“
Den gesamten Vortrag von Professor Yehoyada Amir lesen Sie hier (PDF-Dokument, 241.9 KB).
EKD-Pressemitteilung Nr. 170/2016
„Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes“
EKD-Synode beschließt, Juden nicht mehr zu missionieren
Am heutigen 9. November hat sich die EKD-Synode einstimmig gegen die Missionierung von Juden ausgesprochen. Damit knüpft sie an die Erklärung zu Luthers Antijudaismus aus dem vergangenen Jahr an, in der sie sich von Luthers Schmähungen gegenüber den Juden distanziert hatte.
„Wir bekräftigen: Die Erwählung der Kirche ist nicht an die Stelle der Erwählung des Volkes Israel getreten. Gott steht in Treue zu seinem Volk“, heißt es in der heute verabschiedeten Erklärung. „Christen sind – ungeachtet ihrer Sendung in die Welt – nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen. Alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels.“
„Mit der heutigen Kundgebung gehen wir einen weiteren Schritt auf dem Weg der Einkehr und Umkehr in unserem Verhältnis zu den Juden“, erläuterte die Präses der Synode der EKD, Irmgard Schwaetzer. „Sie ist ein wichtiger Beitrag dafür, dass die Geste der Schuldanerkennung und Verantwortungsübernahme gegenüber unseren jüdischen Geschwistern Substanz hat, die für die Eröffnungsveranstaltung der Woche der Brüderlichkeit 2017 in Frankfurt geplant ist.“
Die heutige „Erklärung zu Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes“ zeichnet einen Weg nach, der mit der Synode 1950 in Berlin-Weißensee begann. Diese hatte die theologische Einsicht in die bleibende Erwählung Israels festgehalten.
Magdeburg, 9. November 2016
Erschienen am 11.11.2016
Aktualisiert am 11.11.2016