Berliner Dom: Kirche und Macht
Bericht zur Tagung
Der Berliner Dom löst pointierte Reaktionen aus. Die einen erfahren ihn – von innen – als hellen, weiten, glanzvollen Raum, als guten Ort von Gottesdienst und Musik. Andere erfahren ihn – von außen – als dominantes, ja abweisendes Gebäude, als Relikt einer vergangenen Zeit, in der Thron und Altar noch eins waren und die evangelische Kirche Staatskirche war. Doch solche Außenwahrnehmungen einer machtvollen Kirche entsprechen längst nicht mehr den gesellschaftlichen und politischen Bedingungen – und sie widersprechen auch dem aktuellen Selbstbild der Kirche. Die Tagung „1817-2017: Kirche und Macht“ am 16. und 17. Februar beschäftigte sich aus ethischer, historischer, theologischer und kirchenpolitischer Perspektive mit der Beziehung zwischen Kirche und politischer Macht. Zu Beginn sprach die Theologin Dr. Frederike van Oorschot darüber, wie sich die Kirche unter heutigen Bedingungen öffentlich und politisch verhalten könne. Die Kirche, so van Oorschot, sei ein „Lernort für Ethik“ – und zwar sowohl indem sie Werte und Güter aktiv vertritt und stärkt, als auch indem sie die (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen und mit anderen Positionen fördert. Van Oorschot betonte: Die einzelnen Glaubenden und die Gemeinden vor Ort sind das nachhaltigste öffentliche Zeugnis der Kirche. Die Gestalt der Kirche ist selbst ein direktes öffentliches Zeugnis, eine „Verkörperung“ ihrer Vision eines guten Zusammenlebens.
Die zeitgenössische Verhältnisbestimmung von Kirche und politischer Macht steht in so starkem Kontrast zur Einheit von Thron und Altar, dass das alte Preußen wie eine weit entfernte, beinah irreale Welt erscheint. Der Historiker Dr. Erik Lommatzsch brachte anhand der preußischen Herrscherpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts Einblicke in die damalige „selbstverständliche“ Verwobenheit von Kirche und Staat. Man verstand es als Teil der herrscherlichen Verantwortung, die Gestalt der Kirche und das Gewissen der Untertanen zu „beschützen“ und „anzuführen“; eine Trennung des eigenen politischen Handelns von seinen weltanschaulich-protestantischen Grundlagen wäre Wilhelm I. und seinen Kollegen schlicht befremdlich erschienen. Auch heute bleibt es eine Herausforderung, zwischen der guten Bereitstellung ethischer Orientierungen für einen offenen gesellschaftlichen Austausch und der Instrumentalisierung religiöser Positionen für machtpolitische Interessen zu unterscheiden.
Ein Erkundungsgang im Dom gehörte zur Tagung. Dr. Tamara Hahn, Konstantin Manthey und Dompredigerin Dr. Petra Zimmermann sprachen in der Kaiserloge, unter der hohen Kuppel und im Altarraum über die kulturellen Inszenierungen von Macht. Die Kaiserloge inszeniert die kaiserliche Macht klar und deutlich mit dem Thron und dem großen rote „Passe-partout“ dahinter. Doch durchkreuzt die Ausstattung des Domes, so Hahn, zugleich den kaiserlichen Machtanspruch innerhalb der Kirche, indem sie mit großen Lettern über den Thron schreibt: „Setzet eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi.“ Unbefangene Betrachterinnen mag die hohe Kuppel mit dem Motiv der schwebenden Taube an den Petersdom in Rom erinnern. Doch unterscheiden sich der Berliner Kuppelbau und der Petersdom bei näherem Hinsehen stark voneinander. In Berlin schwebt die Kuppel über der Gemeinde, nicht über dem Altar. Schon zur Einweihung des Berliner Domes wurde der Bau als antiquiert wahrgenommen und erfuhr manchen Spott, berichtete Manthey. Im Altarraum sprach Dompredigerin Zimmermann über die Ausstattungsgegenstände Altar, Kandelaber, Apostelschranke, die aus dem Vorgängerbau Schinkels übernommen und durch Erweiterungen den Proportionen des neuen Domes angepasst worden sind. Eine eigene Geschichte vom nationalprotestantischen Siegesbewusstsein jener Zeit erzählen die Altarfenster von Anton von Werner. Die Fenster wurden im Krieg zerstört und offenbar diskussionslos 1997 nach alten Vorlagen neu hergestellt.
Mit dem Sinken der Kirchenmitgliedszahlen geht in den Kirchen manchmal ein Ruf nach Konzentration auf ihre sogenannte „Kernkompetenz“ (Gottesdienst und Seelsorge) einher, der zu einer Entpolitisierung von Kirche beitragen kann. Doch hat die Kirche im weltanschaulich neutralen freiheitlichen Rechtsstaat ihre Anliegen im öffentlichen Raum und im politischen Raum zu vertreten. Dr. Johann Hinrich Claussen, der Kulturbeauftragte des Rates der EKD, sprach inspirierend und provozierend über die Schwierigkeit und Gnade der politischen Aufgabe von Kirche. Mehr über seinen Vortrag lesen Sie hier.
Die Tagung war eine Kooperation zwischen der Evangelischen Akademie zu Berlin und dem Berliner Dom. Die Union Evangelischer Kirchen (UEK) unterstützte die Veranstaltung ideell im Rahmen ihrer Jubiläumsaktivitäten zu 200 Jahre Preußischer Union. Die Tagung wurde finanziell gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung.
PD Dr. Eva Harasta
Erschienen am 14.03.2017
Aktualisiert am 14.03.2017