Das Urteil von Karlsruhe: Bankenunion und unsere Erwartungen an die Zukunft
Kommentar von Dr. Michael Hartmann
Gestern hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die europäische Bankenunion nicht verfassungswidrig ist. Das Urteil war erwartbar, das BVG hat in seiner Begründung einen deutlichen Hinweis darauf gegeben, dass hier nicht zuletzt politisch entschieden wurde: die Bankenunion und die Wertpapierkäufe der EZB, die das in den Statuten der Zentralbank definierte Mandat bis an ihre Grenze ausdehnen, werden damit legitimiert, dass die „Integration Europas ein hohes Gut sei“ und den nationalen Akteuren ja schließlich ein Rest an Mitwirkungsmöglichkeiten bliebe. „Die Regelungen zur Europäischen Bankenunion schöpfen den vorgegebenen Rechtsrahmen sehr weitgehend aus, überschreiten ihn aber nicht“, so der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle.
Es ist richtig, dass Europa als Einigungsprojekt die Raison d‘Etre Deutschlands darstellt, doch wie lange werden die Menschen dem widerspruchslos folgen? Die Kläger gegen das beständig ausgeweitete Mandat der EZB und die Bankenunion hatten in ihrer Klage geltend gemacht, dass mit der Bankenunion und einem eher symbolisch ausgestatteten Notfallfonds Haftungsrisiken eingegangen würden, die das Demokratieprinzip und wichtige Grundrechte der Staatsbürger der Bundesrepublik beschnitten würden.
Die Annahme, dass mit diesem Urteil der deutschen Staatsräson, das Friedensprojekt der Europäischen Einigung voranzutreiben, gefolgt worden wäre, basiert möglicherweise auf einer fundamentalen Fehleinschätzung. Deutschland übernimmt mit der Bankenunion unkontrollierbare Haftungsrisiken für den Bundeshaushalt ohne Mitsprache zu haben. In jüngster Zeit haben Bürger(innen) und Sparer(innen) in Deutschland einiges an Zumutungen im Interesse Europas hinnehmen müssen. Die Niedrig- und Negativzinspolitik der EZB hat eine exzessive Verschuldung bei EU-Mitgliedern wie Frankreich und Italien ermöglicht, deutsche Sparer gleichzeitig enteignet. Und dann identifiziert der Deutschlandbericht des Internationalen Währungsfonds IWF die eigentümergeführten Unternehmen in Deutschland als Verursacher der überdurchschnittlichen Vermögensungleichheit in Deutschland. Das ist trotz unbestreitbarer empirischer Evidenz der Ungleichheit bei Vermögen blanker Zynismus und mitnichten eine Gerechtigkeitsfrage aus der Sicht eines Wirtschaftsethikers. Unbestritten gibt es in unserem Land eine unerklärliche Zurückhaltung der Sparer gegenüber dem Erwerb von Immobilienvermögen und Unternehmensanteilen. Beide Anlageformen werden aber gleichzeitig von der Zinspolitik der immer mehr politisch dominierten und an Unabhängigkeit einbüßenden Zentralbanken getrieben und haben die Grenzen von Blasen längst überschritten.
Dass Haushalte und Anleger in unserem Land angesichts dieser Bedingungen durchaus rational entscheiden, interessiert in Brüssel und Washington nicht. Ebensowenig überzeugt offensichtlich das Argument, dass die Jobmaschine Familienunternehmen in Deutschland im Zweifelsfall die letzte Haltelinie gegen den Ausverkauf der heimischen Volkswirtschaft sein könnte. Unternehmen, die eigentlich nicht mehr am Markt sein dürften – sogenannte Zombies – sind eine unmittelbare Folge des billigen Geldes der Zentralbanken. Sie finden sich eher unter börsennotierten Firmen und damit dem vom allgegenwärtigen Anlagenotstand getriebenen Bereich des Investmentgeschäfts als unter persönlich haftenden Eigentümern.
Der Umfang der Anleihekäufe der EZB erreicht bislang 2,6 Billionen Euro, elf Nullen hat diese Zahl. Ob diese Aufkäufe tatsächlich die europäische Konjunktur stabilisiert haben oder vielmehr die Verschuldung der Staaten, vor allem im Süden der Union, vorangetrieben haben, ist eine akademische Frage. Konjunkturelle Erfolge haben in der realen Welt vor allem diejenigen Volkswirtschaften zu verzeichnen, die sich strukturellen Reformen geöffnet haben, wie in den letzten Jahren Griechenland unter der linken Zipras-Regierung. In anderen Mitgliedstaaten werden vor allem verantwortungslose Schuldenpolitiken von populistischen Regierungen ermöglicht, allen voran Italien.
Die historische Chance des Europäischen Einigungsprozesses kulminiert schon lange nicht mehr in den Institutionen Euro, ESM und Zentralbank. Vielmehr werden hier die Fliehkräfte und Sollbruchstellen der durch den Brexit gebeutelten Union manifest. Die Bedeutung des Ausscheidens des Vereinigten Königreiches aus der EU kann gar nicht unterschätzt werden, die Union sollte dem neuen Premierminister trotz aller Vorbehalte so viele Hände wie möglich reichen. Die Kläger in Karlsruhe waren keine ‚Europafeinde‘, wie zu lesen war. Eher sind sie Kritiker einer Einheitswährung, für die Europa am 1. Januar 2002 noch nicht reif war.
Doch das politische Kalkül in Berlin und Karlsruhe ist prekär: Es könnte ein Szenario näher rücken, in dem die Nachteile für Bürgerinnen und Bürger in Deutschland die gefühlten Vorteile der Europäischen Union neutralisieren. Und das, obwohl eigentlich nur Euro, Zentralbank und Bankenunion den Fokus darstellen. Ab diesem Zeitpunkt könnte die Akzeptanz der Union schwinden, auch ohne die AfD. Der Euro wäre womöglich schneller am Ende, als mancher sich das jetzt vorstellen kann. Auch die die Karlsruher Richter würden dann vielleicht anders urteilen, als gestern geschehen. Wenn sich die Einschätzung, die EZB bewege sich außerhalb ihres Mandates, verbreiten würde, könnte ein Bundesbankpräsident im nationalen Interesse die bisherige Politik der EZB beenden. Diese Erwartung von Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik wäre durchaus legitim und hätte nichts mit rechtem Populismus zu tun. Sie berührt vielmehr ein rationales Kalkül der Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf ihre Vorsorge für das Alter, das meint von der Regierung viele Jahre lang forcierte Verhaltensweisen wie die Einzahlungen in die Riesterrente oder in Institutionen wie die Betriebsrente oder die Rürup-Rente. Das wäre dann die größte denkbare Krise der Union und „womöglich ihr Ende“, wie Marc Beise in einem Kommentar zum Karlsruher Urteil in der Süddeutschen Zeitung schreibt.
Einen Realismus zu entwickeln für die Grenzen einer fiskalischen Integration innerhalb der EU ist das Verdienst der Kläger von Karlsruhe. Im Angesicht schwieriger Zeiten für die europäische Konjunktur und längst nicht mehr vorhandener Spielräume eines geldpolitischen Keynesianismus sollte jetzt die Rettung des Europäischen Projektes im Vordergrund stehen.
Erschienen am 31.07.2019
Aktualisiert am 31.07.2019