Chanukka und Weihnachten
04.12.2020 | ADVENT 2020 | Micha Brumlik
Ja, der jüdische Knabe Jesus hat das Chanukkafest begangen – so teilt es uns jedenfalls das Evangelium des Johannes in 10, 22 mit: „Es war aber Kirchweih in Jerusalem…“ Zugegeben: andere Übersetzungen des Evangeliums schreiben vom „Neujahrsfest im Herbst“. – Indes: Wie genau das griechische „Engkainia“ ins Deutsche zu übersetzen ist, wird ungewiss bleiben – die „Bibel in gerechter Sprache“ hat sich jedenfalls für „Chanukkafest“ entschieden und fährt fort: „Es war Winter und Jesus ging im Tempel in der Säulenhalle umher.“
Chanukka aber ist eines der wenigen jüdischen Feste, das nicht in der Hebräischen Bibel, im Tenach, sondern erst in der griechischen Septuaginta bezeugt wird und erst spät, im 2. Jahrhundert vor der Zeitrechnung von den Makkabäern eingeführt wurde: Ein Lichterfest, das daran erinnern soll, dass nach der Entweihung des Tempels durch die hellenistischen Seleukiden die das ewige Licht im Tempel auch dann noch brannte, als das Öl des Leuchters bereits ausgegangen war.
Im westlichen Christentum scheint die Adventszeit seit dem 6. Jahrhundert bezeugt zu sein – auf jeden Fall ist es mehr als ein Zufall, dass sowohl die Adventstage als auch Chanukka – wie eben erwähnt – Lichterfeste sind, die das Dunkel des Winters erhellen sollen. Das im Tenach nicht bezeugte Chanukkafest ebenso wie die neutestamentlich nicht belegten Adventstage erweisen sich so als Relikte einer „natürlichen“ Astralreligion, die sich im deutschen Judentum in heiterer Weise noch bis ins frühe 20. Jahrhundert erstreckt hat: So feierten die deutschen Juden im 19. und 20. Jahrhundert nur zu gerne – wie schon vor Jahren eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin belegte – „Weihnukka“, indem sie einerseits selbst einen Christbaum aufstellten und andererseits nach dem Entzünden der Chanukkalichter für die Kinder des Hauses eine Bescherung veranstalteten oder ihnen doch mindestens ein „Chanukkageld“ zukommen ließen. Historisch gesichert war es die aus Berlin nach Wien gezogene jüdische Salonniere, Fanny von Arnstein (1758-1818), über deren Wiener Leben die Autorin Hilde Spiel berichtet:
„Bei Arnsteins war vorgestern nach Berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihnachtsbaum- oder Christbaumfest. Es waren dort Staatskanzler Hardenberg, die Staatsräte Jordan und Hoffmann, Fürst Radziwill, Herr Bartholdy, alle Anverwandten des Hauses. Alle gebetenen, eingeladenen Personen erhielten Geschenke oder Souvenirs vom Christbaum. Es wurden nach Berliner Sitte komische Lieder gesungen…Fürst Hardenberg amüsierte sich unendlich.“ In Daniel Friedrich Schleiermachers „Weihnachtsfeier“ – auch er ein gerne gesehener Gast in den Salons – heißt es: „Wir schenken, weil wir beschenkt wurden.“
Der Anarchist Erich Mühsam (1878-1934) jedenfalls – er wurde 1934 im KZ Oranienburg ermordet - dichtete noch 1914:
„Geboren ward zu Bethlehem
ein Kindlein aus dem Stamme Sem.
Und ist es auch schon lange her,
seit’s in der Krippe lag,
so freun sich doch die Menschen sehr
bis auf den heutigen Tag.
Minister und Agrarier,
Bourgeois und Proletarier –
es feiert jeder Arier
zu gleicher Zeit und überall
die Christgeburt im Rindviehstall.
(Das Volk allein, dem es geschah,
das feiert lieber Chanukah.)“
Prof. Micha Brumlik ist Erziehungswissenschaftler und Autor, Senior Professor am Selma Stern Zentrum in Berlin und Kooperationspartner der Akademie im Bereich Demokratische Kultur und Kirche/Bildung.
Erschienen am 27.11.2020
Aktualisiert am 13.01.2021