Gedanken zum 3. Advent
13.12.2020 | ADVENT 2020 | Rolf Schmachtenberg
Zusammenhalten, indem wir Abstand voneinander halten. Was könnte widersprüchlicher sein! Diese paradoxe Lektion erteilt uns die Natur – sie hat uns einen Virus gesandt, den unsere Sinne nicht wahrnehmen, der unseren Körper aber zerstören kann.
Zu unser aller wechselseitigem Schutz ziehen wir uns in unsere Wohnungen zurück, wann immer es geht. Gut für die, die eine haben. Für Obdachlose sind Unterkünfte jetzt wichtiger denn je.
Es kommt für mich einem Wunder nah, was alles in unserer so hoch arbeitsteiligen Gesellschaft Tag für Tag funktioniert und überlebenswichtig ist. Die Versorgung mit Brot, Milch, Butter, Getreide, Kartoffeln, Gemüse, Obst genauso wie mit Wasser, Strom, Gas, Heizöl, Internet und Telefon ebenso wie all die lebensbewahrenden und -rettenden Leistungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Nicht zu vergessen: die Entsorgung durch die Müllabfuhr und die Kanalisation. Und auch all die Einrichtungen, die mit unseren Kindern der Zukunft zugewandt sind, Kindertagestätten und Schulen, zähle ich dazu. Sie arbeiten daran, dass dieses Wunder auch in Zukunft geschehen kann. Und sie helfen mit, dass Millionen von Menschen ihrer Arbeit nachgehen können, um dieses Wunder jeden Tag neu wahrwerden zu lassen.
Es ist unmöglich all ihre Berufe hier zu nennen. Vor meinen inneren Auge ziehen einige beispielhaft vorbei (Ich bitte jeweils ein „-/innen“ anzufügen.): Land-, Tier- und Fischwirte, Bäcker, Melker, Müller, Lebensmitteltechniker, Lageristen, Mechaniker, Kraftfahrer, Eisenbahner, Rangierer, Fachverkäufer und Kassierer, Wasserversorgungs- und Abwassertechniker, Anlagenfahrer, Elektroniker, Klempner, Rohrleitungsbauer, Schornsteinfeger, Informations- und Telekommunikationssystemelektroniker, Notfallsanitäter, Ärzte, Kranken-, Alten- und, Heilerziehungspfleger, Assistenten im Gesundheits- und Sozialwesen, Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft (Müllmänner), Köche, Reinigungsfachkräfte, Erzieher und Lehrer.
Hinzukommen mehr und mehr Lieferanten, oft angelernt, häufig erst seit Kurzem in Deutschland, bringen sie die Waren in die Wohnungen, gehen sie die Risiken der vielen Kontakte ein, die ihre Auftraggeber dank ihrer vermeiden können. Ihnen allen und auch denjenigen, die ich hier in diesem kurzen Text nicht benennen kann, bin ich zutiefst dankbar. Ihrer aller Arbeit macht es möglich, dass wir das Leben führen, das wir führen.
Die Herausforderung der Pandemie stellt uns und unsere Gesellschaftsordnung auf den Prüfstand. Wir haben die Chance, Wichtiges von Unwichtigen zu unterscheiden. Wichtig ist mir, dass diejenigen, die „den Laden am Laufen“ halten, wertgeschätzt und also auch gut bezahlt werden. Wichtig ist mir, dass sie gute Arbeitsplätze haben, die ihre Gesundheit nicht ruinieren.
Das Menetekel der Fleischwirtschaft hat es uns vor Augen geführt. Wer billiges Fleisch essen will, kann es in Deutschland bekommen; doch es hat einen Preis, der in den Schlachthöfen von den Werkvertragsarbeitnehmern bezahlt wurde. Und steht es um die Pflege so viel besser? Ich denke an die Entgelte der Pflegkräfte in der häuslichen 24-Stunden-Pflege und an die Überlastung in den Altenpflegeheimen. Eine Finanzierung der Pflege mit einem Beitragssatz von drei Prozent bezogen auf die Einkommen allein aus Arbeit, springt zu kurz. Schnell wird von den „Helden im Alltag“ gesprochen, doch ist uns ihre Arbeit das auch wert, wenn es darum geht, sie zu bezahlen?
Dr. Rolf Schmachtenberg, Mathematiker und Volkswirt, arbeitet als Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Schwerpunkt Sozialpolitik.
Erschienen am 02.12.2020
Aktualisiert am 13.12.2020