Sind wir noch bei Trost?
14.12.2020 | ADVENT 2020 | Christian Staffa
Jesus nach einem langen Tag in der Synagoge, bei der Schwiegermutter des Simon Petrus, am Abend, der die Sabbatruhe beendet. Er predigt. Was macht er da bloß? Heilen?! Hand auflegen, Spucke auf die Augen, lossprechen? An dieser Stelle sagt Markus (Mk 1, 29-39) dazu nichts Konkretes. Er schildert dieses Heilen nicht näher, sondern schreibt nur: „Er heilt“, im griechischen „therapeuein“. Das bedeutet: heilen durch dienen, pflegen, sorgfältig behandeln. So bekommen die Menschen ihren Trost, ihr Vertrauen in das Leben, in Gott, auf die Zukunft zurück. So sind sie dann vielleicht „bei Trost“: Die Dämonen der Angst werden benannt und so ausgetrieben.
Ach, wären sie doch für immer ausgetrieben und tauchten nicht immerzu und auch heute wieder auf, Verschwörungsformeln auf den Lippen, alte christliche Judenfeindschaft reloaded. Wir lernen, dass die bei Markus beschriebene Heilungs-Geschichte auch eine politische ist.
Vielen Menschen scheint Jesus damals so geholfen zu haben: durch Trost spenden, dadurch, dass er Vertrauen gab, dass nicht alles hingenommen werden muss, auch nicht die eigenen Besessenheiten. Zuwendung und Austreibung: Kehrt um und glaubt an das Evangelium! heißt seine Botschaft, ihr braucht euch nicht an das zu klammern, was bei Licht besehen kein Leben verheißt, sondern Stagnation und Tod. Lasst es los, dann lassen die Dämonen euch los.
Und dann, schreibt Markus: Auf dem Höhepunkt seines Erfolges zieht Jesus sich zurück. Ach, würden wir das doch auch lernen, nicht der Verführung zu folgen, weiter zu machen, weil es gerade doch so gut geht. Jesus zieht sich zurück zum Beten und verlässt Kapernaum. Seine Gedanken und Gefühle muss er neu sammeln und neu Kraft finden. Zu Gott sprechen, um neu sich zu finden, gefunden zu werden von Gott, den anderen zu finden, zu finden, was Not tut. Jesus will weiterziehen, anderen Menschen die Botschaft von dem anbrechenden Reich der Gerechtigkeit und des Lebens zu erzählen, sie zu befreien aus ihren Bindungen. Bindungen, die noch uns krank, verrückt und trostlos machen. Jesus will befreien von den Ängsten, die alte Dämonen von geheimen Verschwörer*innen mobilisieren.
Vielleicht spricht Jesus heute in Kapernaum/Berlin und dann Galiläa so zu uns, wie Helmut Gollwitzer, der Berliner Theologieprofessor, vor mehr als 30 Jahren:
„Wir sind reicher und freier, als wir meinten.
Wir können aus unseren Verhältnissen und inmitten der Zwänge mehr machen,
als es von außen scheint:
Uns so oder so zu unserem Mitmenschen einstellen, der im gleichen Zwange steht.
Mit Glauben Liebe Hoffnung auch die Unfreiheit von Krankenbett,
Gefängniszelle und Alltagslast erfüllen, dafür um Kraft bitten.
Nicht mitmachen, was alle machen.
… An Bewegungen der Befreiung teilnehmen. Mitmenschlich … werden.
Freiheit mitten im Zwang ist keine Utopie, keine Trostideologie,
es ist die tägliche neue Möglichkeit.“
Christian Staffa ist Studienleiter für demokratische Kultur und Kirche/Bildung und Beauftragter der EKD für den Kampf gegen Antisemitismus.
Erschienen am 02.12.2020
Aktualisiert am 14.12.2020