Die richtige Krippe
16.12.2020 | ADVENT 2020 | Anne Eichhorst
Seit Jahren möchte ich an Weihnachten eine Krippe aufstellen, konnte mich bisher aber nicht für die „richtige“ entscheiden. Bezogen sich meine Überlegungen zunächst auf ästhetische Aspekte, kamen mit der Geburt unseres Kindes im Winter 2014 pädagogische Erwägungen dazu. Die hätten zum ersten Weihnachtsfest zwar wenig Relevanz gehabt, sollten aber dennoch, beflügelt vom romantischen Bild des Familienglücks, sofort umgesetzt werden. Die Wirklichkeit holte mich schnell ein: Unser Kind wurde wegen Problemen seiner Atmung in einem Kasten auf der Intensivstation verstaut, sein Gesichtchen war von Schläuchen verdeckt, der Kindsvater schaute gestresst nur auf Stippvisite vorbei. Meine Situation war der Gegenentwurf zur heiligen Familie: Maria wacht glücklich über ihr gesundes Kind, umsorgt von Josef. Ich strich die Krippe kurzerhand von der Liste.
Im folgenden Jahr kamen viele Geflüchtete nach Deutschland. Menschen waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und anderswo Schutz vor Krieg zu suchen. Auch in der Bibel heißt es, dass Josef seine Wohnstatt verlassen sollte, weil ein Gebot des Kaisers Augustus ausging, ein jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Josef war nicht bedroht, aber gezwungen, einen weiten, für eine Schwangere beschwerlichen Weg zu gehen. In Bethlehem angekommen, stieß das Paar in jeder Herberge auf Ablehnung, wie heute häufig auch die Geflüchteten. Über diesen Gedanken verstrich unser Weihnachtsfest – ohne Krippe.
Neue Hoffnung brachte das Weihnachtsfest 2016. In diesem Jahr bekam unsere Kita einen neuen Erzieher. Manuel aus der Republik Kongo hatte eine dunkle Haut. Durch ihn wurde ich aufmerksam auf die problematische Darstellung der drei Weisen in der Krippenszene, also eigentlich vor allem des einen Schwarzen Königs Melchior. Umfangreiche Recherchen ergaben keine befriedigende Lösung; so verschob ich das Projekt Krippe erneut.
2017 wurde bei unserem Kind eine Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Es erhielt einen Integrations-Status und gezielte Förderung. Die ersten Hänseleien setzten ein. Ich überlegte, in die Krippendarstellung Menschen mit Handicap einzubauen. Vielleicht einen Hirten im Rollstuhl oder einen Engel mit Beinprothese. Die Ideen verwarf ich als historisch unhaltbar - und verzichtete auf die Krippe.
Auch in den Folgejahren fand ich Argumente gegen eine Krippe. Entweder gefiel mir die Auswahl der Tiere nicht – Giraffe oder Elefant dazu zu stellen, kam mir dann aber doch albern vor – oder unser Kind bescherte uns besonders viel Bruch, was den Krippenfiguren erspart bleiben sollte. Wieder fehlte die Krippe im weihnachtlichen Dekorationsrepertoire.
In diesem Jahr war ich fest entschlossen, unsere Weihnachtskrippentradition zu etablieren. Dann kam Corona. Wie erkläre ich unserem Kind, dass die drei Könige dem Jesuskind Geschenke bringen, der Weihnachtsmann aber nicht kommen darf? Wie soll mein Kind Verständnis haben dafür, dass seine Geburtstagsfeier ausfällt, wenn zu Jesu Geburt Könige, Hirten und Engel auftauchen, was eindeutig mehr als zwei Haushalte und fünf Personen sind? So werde ich also tun, was ich in den letzten Jahren schon tat – ich vertage unser Krippenspiel.
Anne Eichhorst ist Assistentin des Antisemitismusbeauftragten der EKD sowie Projektsachbearbeiterin des Projektes DisKursLab.
Erschienen am 02.12.2020
Aktualisiert am 16.12.2020