Adventsblog 17.12.2020

Stille Nacht, heilige Nacht…

17.12.2020 | ADVENT 2020 | Uwe Trittmann

Pfütze

© EAzB/A.Czekalla

Weihnachten 2020: Stille Nacht, heilige Nacht… Gilt das auch auf Lesbos und in den vielen anderen Flüchtlingslagern dieser Welt? Die nüchternen Zahlen sprechen eine deutliche und nicht zu leugnende Sprache: Zum Ende dieses Jahres sind weltweit rund 80 Millionen Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor Krieg und Gewalt, vor Naturkatastrophen und bitterer Armut. Sie sehen keinen anderen Ausweg und setzen ihre ganze Hoffnung auf ein Überleben in der Fremde. Die Bilder vom September in Moria auf der griechischen Insel Lesbos haben sich tief in meiner Erinnerung festgesetzt. Wie verzweifelt müssen Menschen sein, wenn sie das Wenige, das sie noch besitzen:  den Schlafplatz zwischen Abfall und in notdürftigen Zelten - wenn sie bereit sind, dies auch noch aufzugeben? Der verheerende Brand des Lagers hat mehr als 12.000 Menschen obdachlos, ohne sanitäre Versorgung und hungernd zurückgelassen. Zukunft: völlig ungewiss…

Moria und das Ersatzlager Kara Tepe, in dem die Überlebenden dann kaserniert wurden: Dies geschieht in Europa, auf einer der beliebten griechischen Ferieninseln (auch für viele Urlauber aus Deutschland). Wie in einem Brennglas erscheint dort das ganze Elend einer weitgehend verfehlten europäischen Flüchtlingspolitik.

Ein breites europaweites Bündnis von Städten und Kommunen (auch in Deutschland) zeigte sich solidarisch und wollte die verzweifelten und traumatisierten Menschen aufnehmen. Es scheitert bis heute an politischen und bürokratischen Grenzen. Unvorstellbar: Die so reiche EU, die gerade 1,8 Billionen Euro bewilligt hat, um Europa nach COVID-19 grüner, digitaler und widerstandsfähiger wieder aufzubauen – in dieser EU müssen die verzweifelten Flüchtlinge auch in der „heiligen Nacht 2020“ weiter frieren, sich im eiskalten Meer waschen. Kinder werden auf unbestimmte Zeit kaum so etwas wie Schulbildung bekommen. Meine Gedanken werden Weihnachten auch und gerade bei den sechs jungen Afghanen sein, die als vermutliche Brandstifter von Moria in Haft sitzen. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, wer hier eigentlich die Verantwortung trägt…

Weihnachten vor 2000 Jahren: Stille Nacht, heilige Nacht… Galt das auch in Bethlehem? Wie gut, dass die Evangelisten die Ankunft des „Friedensfürsten und Retters der Welt“ nicht in kitschigen Bildern ausmalen. Sie machen uns mit der damaligen Lebensrealität vertraut: Die Menschen in Palästina haben massiv unter der Gewaltherrschaft und Ausbeutung einer Besatzungsmacht zu leiden. Schließlich werden die Eltern und der neugeborene Jesus selbst zu Flüchtlingen. Der Gottessohn, er wird als Mensch unter Menschen geboren, in eine Welt hinein, in der das „Heilige“ zum Wahrhaftigen und Erfahrbaren für alle wird. Diejenigen, die dem jüdischen Kind Jesus damals in der heiligen Nacht begegnet sind, sie waren überzeugt, dass die Verheißung „Frieden auf Erden“ in der so friedlosen Welt eine verändernde Kraft entfaltet – so kann Weihnachten werden...

Uwe Trittmann ist Studienleiter für Friedensethik, Außen- und Sicherheitspolitik an der Evangelischen Akademie zu Berlin.

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