Adventsblog 21.12.2020

Octopus' garden? Messias, Klima, Buchgeschenke

21.12.2020 | ADVENT 2020 | Torsten Meireis

Unter den Linden mit Straßenbeleuchtung

© EAzB/A.Czekalla

Der Advent des Jahres 2020 scheint zunächst mehr von der Ankunft des Covid-19-Virus als der des Erlösers geprägt. Mitten in der zweiten Welle der Pandemie gehen wir auf ein Weihnachtsfest zu, das mangels aufwändiger Verwandtenbesuche, quirliger Weihnachtsmärkte und vorweihnachtlicher Hektik ruhig und besinnlich zu werden verspricht - besinnlicher fast, als es uns lieb sein kann. Das gilt besonders, wenn die in den Blick rücken, die krank sind, die jetzt einsam bleiben oder diejenigen, die von den Folgen der Schutzmaßnahmen besonders hart getroffen werden.

Angesichts dieser Herausforderungen treten andere Probleme in den Hintergrund - Klima und Nachhaltigkeit, zum Beispiel, auch wenn ja eigentlich klar ist, dass die Pandemie zumindest mittelbar damit zusammenhängt: geht sie doch auf eine Zoonose zurück, die durch das unter Nachhaltigkeitsaspekten problematische Leitbild des täglichen Fleischverzehrs zumindest begünstigt wird. Zudem steht zu befürchten, dass die pandemiebedingten Emissionsrückgänge durch eine wenig klimasensible Aufbaupolitik nach Verbreitung des Impfstoffs mehr als ausgeglichen werden.

Überhaupt: Mehr als das Klima interessiert gegenwärtig die Frage, wie man denn jetzt Weihnachten feiern soll, wem man was schenken könnte und ob es wirklich schon wieder so weit ist, dass wir Toilettenpapier horten müssen.

Zumindest auf die zweite Frage habe ich eine Antwort. Wenn der Lockdown nun auch Weihnachten bestimmt, liegt ein Buch, das die Klimakrise spannend aufbereitet, als Geschenk unterm Baum nahe, und siehe da: so eins ist gerade erschienen. Dirk Rossmann, Besitzer der gleichnamigen Drogeriemarktkette und Autor im Nebenamt, hat einen Klima-Thriller verfasst, den er intensiv bewerben und vermarkten lässt: "Der neunte Arm des Oktopus."

Der Schmöker, immerhin von Udo Lindenberg, dem Panik-Zuständigen deutscher Popkultur, mit dem Prädikat „Das ist Hammer. Super spannend. Respekt!“ versehen, war der "Zeit" ein fast halbseitiges Interview wert. Und auch die „Süddeutsche“ hat sich nicht lumpen lassen, auch wenn die Kritiken da etwas, sagen wir: verhaltener ausfallen als beim Panikbarden. Rudolf Neumeier spricht in der SZ vom "Milliardärs-Dreigroschenweltrettungsroman" und Moritz von Uslar von einem "brutal ambitionierten, leicht größenwahnsinnigen Werk".

Bemängelt wird viel an dem Buch, und sicher auch zu Recht. Bemerkenswert ist vor allem die antidemokratische Phantasie, die ausgerechnet Wladimir Putin, Xi Jinping und die schon mal zur Präsidentin erklärte Kamala Harris die Nachhaltigkeit mit militärischen Mitteln durchsetzen lässt. Aber wie das so ist: Sich von den vermeintlichen Höhen bildungsbürgerlicher Überlegenheit lustig machen ist leicht, es besser machen, ist schwer. Und den Versuch, in populärer Weise Sensibilität für Menschheitsthemen zu wecken, kann nur ein Snob kritisieren - zumal im notorisch milieuverengten Protestantismus. Und falls Dirk Rossmann mit dem Buch tatsächlich Geld verdient, sei's ihm gegönnt.

Problematischer ist da schon die antidemokratische Messianität der starken Männer und Frauen und die Hoffnung auf militärische Konfliktlösungen, die da gefeiert wird. Und man sollte sich nicht täuschen: Diese Vorstellung ist nicht einfach 'doof', wie Rossmann selbst befürchtet, sondern zunehmend verbreitet und tatsächlich gefährlich. Die auch akademisch salonfähige Version dieser Phantasie hat der chinesische Philosoph Zhao Tingyang mit seinem ebenfalls ziemlich verbreiteten Werk 'Alles unter dem Himmel' vorgelegt, in dem er eine neue Weltordnung nach dem Muster chinesischer Politikvorbilder avisiert. Auch hier haben angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen Demokratie und individuelle Freiheit ausgedient, und es kann nicht beruhigen, dass die Konzeption den Vorstellungen der chinesischen Staatsführung relativ nahe stehen dürfte. Dies gilt umso mehr, als die bloße Beschwörung demokratischer und freiheitlicher Politikformen angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen nicht genügen kann: Da haben Rossmann und Zhao leider recht.

Insofern stehen mindestens Varianten einer Lösung des Buchgeschenkproblems zur Auswahl, auch wenn solche Geschenke nicht notwendig Behagen verbreiten. Aber Anregung ist ja auch gut, selbst wenn ich mit der Weltrettung durch säkulare Messiasse so meine Schwierigkeiten habe.

Sicher ist im Advent: Retten wird uns und die Welt ein höh'res Wesen, aber nicht vor dem Klimawandel. Das müssen wir schon selbst machen, am besten ohne militärische Mittel und auf demokratischem Weg. Auf den Messias, der seine Macht gerade im Herrschaftsverzicht erwiesen hat und unserer Freiheit Spielraum und Hoffnung, warten wir im Advent und feiern an Weihnachten: das Kind im Stall.

Torsten Meireis ist Professor für Systematische Theologie und Direktor des Berlin Institute for Public Theology an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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