„Noch einmal ein Weihnachtsfest…“
24.12.2020 | ADVENT 2020 | Friederike Krippner
Mit Theodor Fontane haben wir am 1. Advent diesen Adventsblog begonnen und mit ihm möchte ich ihn auch heute, am Heiligabend 2020, beschließen. Denn für Fontane, der vor gut 300 Jahren geboren wurde, kurz nach Weihnachten übrigens, am 30. Dezember 1819, spielte das Weihnachtsfest eine große Rolle. In seinem autobiografischen Roman Meine Kinderjahre beschreibt der zum Zeitpunkt des Schreibens schon über 70jährige die fieberhafte Spannung vor dem Heiligabend als kleiner Junge, eine Vorfreude, die der Abend selbst dann nicht recht zu halten vermochte. Und nichts feiern Fontanes Figuren so häufig wie Weihnachten: Vor dem Sturm beginnt mit dem Heiligabend und entfaltet von da aus einen Spiegel der Weihnachten feiernden preußischen Gesellschaft zwischen Gutsherren und Bauern. Mathilde Möhring verlobt sich am Heiligabend mit dem armen Jurastudenten Hugo Großmann, der Mathildes Ehrgeiz nicht gewachsen sein wird, und sie gönnt ihm mehr aus weihnachtlicher Pietät denn aus echtem Mitgefühl eine kurze Pause über die Weihnachtstage, bevor sie ihn zum Lernen fürs Examen treibt. Die unglückliche Grete Minde, die später Tangermünde in Brand setzt, empfindet als Waise bitteren Groll angesichts des von Kerzen erleuchteten Weihnachtsbaums, Kerzen, die mindestens gefühlt nicht für sie brennen. Und die junge Effi Briest, an der bis heute kaum ein Gymnasiast vorbeikommt, resümiert in einem Brief an ihre Mutter ein zwiespältiges Gefühl, nachdem sie das erste Mal ohne ihre Eltern, gemeinsam mit ihrem Mann Weihnachten feiert: „Innstetten und mein guter Freund Gieshübler hatten alles aufgeboten, mir den Heiligen Abend so angenehm wie möglich zu machen, aber ich fühlte mich doch ein wenig einsam und bangte mich nach Euch.“
Weihnachten, das ist bei Fontane ein emotional hoch aufgeladenes Fest, ein Fest, an das hohe Erwartungen gestellt werden und das gerade darum häufig Enttäuschungen auslöst. Es ist aber auch ein Moment der Rückbesinnung, der Zäsur:
Noch einmal ein Weihnachtsfest,
Immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm‘ ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme
Alles Falsche, alles Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte –
Rechnet sich aus all dem Braus
Doch ein richtig Leben raus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.
Indem er auf „Weihnachtsfest“ „Rest“ reimt, entpuppt sich Fontane als Meister des Lakonischen. So dichtet ein Mann, der weiß, dass er schon sehr viel mehr Weihnachtsfeste gefeiert hat, als noch kommen werden.
Auch weitaus jüngere Menschen mögen sich in einem solch lakonischen Grundgefühl in diesem Jahr wiederfinden und es ist vielleicht angesichts neuester Meldungen einer eventuell infektiöseren Virusmutation, steigender Infektionszahlen und dem Regierungsaufruf, möglichst zuhause zu bleiben und Kontakte auf das Wesentlichste zu beschränken, schwierig, Lakonie nicht in Melancholie umschlagen zu lassen. Aber gerade darin birgt Fontanes nüchterner Blick auf die Dinge auch Trost. Es kommt auf die Gesamtschau an. Auch wenn dieses Weihnachtsfest anders ist, wenn der Gottesdienst dieses Mal digital stattfinden wird, wenn Sie nicht all Ihre Lieben in diesem Jahr sehen können, am Ende, so kann man hoffen, kommt „aus all dem Braus / Doch ein richtig Leben raus.“ Dass Sie dies so empfinden, das wünsche ich Ihnen von Herzen.
Das allerletzte Wort aber soll am Heiligabend dann doch nicht Fontane haben. Stattdessen möchte ich Ihnen einen Vers ins heutige Fest mitgeben, der am Anfang des Johannesevangeliums steht, und der das Kind in der Krippe, dessen Ankunft wir heute feiern, unvergleichlich tröstlich in unsere Lebenswirklichkeit einführt: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.“ (Johannes 1,4-5)
Ein gesegnetes Weihnachtsfest wünscht Ihnen
Ihre Friederike Krippner
Friederike Krippner, Germanistin und Theologin, ist Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin.
Erschienen am 02.12.2020
Aktualisiert am 06.01.2021