Beobachtungen in einer veränderten Welt 13

Die Krise als Chance zur Umkehr

Beobachtungen in einer veränderten Welt 13 – Martin Dutzmann

Corona-Blog Dutzmann

© EAzB/EKD

Wird die Krise nur negative Folgen haben? Martin Dutzmann hält dagegen: Tatsächlich zeigt die derzeitige Situation wie ein Brennglas, was falsch läuft in unserer Gesellschaft. Sind die Einsichten schmerzhaft genug? Wird es nachhaltige Änderungen geben etwa im Gesundheits- und Bildungsbereich?

Am 20. April überschrieb Michael Hartmann seinen Blogbeitrag mit „Krise als Chance?“ und verneinte diese Frage mit dem Hinweis auf diverse drohende Gefahren. Am Schluss seiner Ausführungen erinnerte er an einen Essay von Bischof Christian Stäblein, in dem dieser angesichts tausender Toter durch COVID-19 die Rede von der Krise als Chance ebenfalls problematisiert. Michael Hartmann und Christian Stäblein scheinen auch deshalb recht zu haben, weil die Krise wichtige Fragen in den Hintergrund treten lässt: Wo ist der freitägliche lautstarke Protest gegen die Klimapolitik geblieben, wo das leidenschaftliche Eintreten für gerechte Produktions- und Handelsbedingungen auf der ganzen Welt? Und warum werden eigentlich zurzeit im Mittelmeer keine geflüchteten Menschen mehr vor dem Ertrinken gerettet?

Trotzdem hoffe ich, dass wir die Krise auch als Chance begreifen können – als Chance zur Umkehr. Tatsächlich scheint es nämlich so, als lernten wir, gesellschaftliche und politische Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte in diesen Wochen schärfer zu sehen, als es sonst der Fall ist. Ich nenne nur drei von zahlreichen Beispielen.

Dass alle Länderregierungen das gesellschaftliche Leben wochenlang still gestellt haben, war und ist der Sorge um unser Gesundheitssystem geschuldet. Die Kapazitäten sind knapp. So knapp, dass im Falle sehr vieler an Covid 19 erkrankter Menschen mit einer Überlastung der Intensivstationen gerechnet werden muss. Deutlich wird uns bewusst, dass diese Knappheit etwas mit gesundheitspolitischen (Fehl-)Entscheidungen der letzten Jahrzehnte zu tun hat. Waren wir gut beraten, als wir das Gesundheitssystem vorrangig unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachteten und gestalteten? Dienen Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulante Dienste nicht zuerst und vor allem der Daseinsvorsorge für alle statt der Gewinnmaximierung für wenige?

Auch die Schwächen unseres Bildungssystems treten in der Krise noch deutlicher zu Tage als sonst. Dass in unserem Land Bildungschancen und soziale Herkunft aufs Engste zusammenhängen, ist ein schon lange bekannter Skandal. In den Wochen der Krise spitzt sich die Ungerechtigkeit dramatisch zu: Während akademisch gebildete Eltern im Home-Office das so genannte Homeschooling ihrer Kinder überwachen und unterstützen können, ist dies weniger gebildeten Müttern und Vätern nicht möglich. Wenn die Schulen wieder öffnen, wird dieser Unterschied an den Leistungen der Kinder deutlich zu erkennen sein und vielleicht über ganze Bildungsverläufe entscheiden.

Klarer als sonst erkennen wir in diesen Wochen schließlich, wer mit seiner Arbeit systemrelevant ist: Die Männer, die auch jetzt zuverlässig unseren Müll abholen und entsorgen; die Menschen, die in den Supermärkten die Regale befüllen; die Männer und Frauen in den Wasser- und Elektrizitätswerken und natürlich alle, die die ärztliche und pflegerische Versorgung der Bevölkerung sicherstellen. Warum eigentlich werden die meisten dieser Menschen im gesamtgesellschaftlichen Vergleich so gering bezahlt?

Die Einsicht in das, was in unserer Gesellschaft falsch läuft, sollte in diesen Wochen gewachsen sein. Ich hoffe sehr, dass sie zur Umkehr führt.

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