Abendmahl in der digitalen Welt
Beobachtungen in einer veränderten Welt 7 – Heinz-Joachim Lohmann
Am heutigen Gründonnerstag wirft Heinz-Joachim Lohmann ein Schlaglicht auf die Frage nach der Notwendigkeit der leiblichen Präsenz der Gemeinde beim Abendmahl und auf eine Botschaft von Dietrich Bonhoeffer.
Tischabendmahle an Gründonnerstag sind in vielen Kirchengemeinden in den letzten Jahren zur guten Tradition geworden. Menschen treffen sich in der Kirche oder im Gemeindezentrum, sitzen um eine Tafel, teilen ein größeres Abendessen, feiern am Ende Abendmahl, löschen dann die Kerzen und räumen den Altar ab.
In diesem Jahr ist das unmöglich. Vor zwei Jahren diskutierten wir mit Lawrence Tanner Richardson, einem amerikanischen Pfarrer und Pionier der Kirche in der digitalen Welt, über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten kirchlicher Präsenz im Internet. Am meisten umstritten war die Frage von Abendmahl und Taufe: Handlungen, die aus unserer deutschen Perspektive eine leibliche Präsenz der Gemeinde erfordern. Lawrence bestritt das mit großer Leidenschaft und erklärte, dass es aus seiner Perspektive eine große Chance sei, sich bei Brot und Wein virtuell zu versammeln und damit Menschen zu erreichen, die aus unterschiedlichen Gründen die Kirche nicht mehr betreten können.
Heute, Gründonnerstag 2020, werden viele Gemeinden unserer Kirche ein Abendmahl im virtuellen Raum anbieten, weil es die einzige Möglichkeit ist, sich heute Abend zu treffen und gemeinsam zu feiern. So schnell können sich Meinungen, Einstellungen und Handlungen ändern, wenn es die aktuelle Situation erfordert. Und das ist gut so. Nur wenn es uns gelingt auf unsere Zeit und ihre Notwendigkeiten zu reagieren, können wir Christus als Gemeinde existierend sein.
Diese Zielvorstellung des Daseins von Kirche formulierte Dietrich Bonhoeffer, der heute vor 75 Jahren hingerichtet wurde von einem bestialischen Regime, das unterstützt war von einer verbrecherischen Justiz. Er kleidete die damit verbundene Aufgabe in die Frage: Sind wir noch brauchbar? Und er antwortete: „Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, gerade einfache Menschen werden wir brauchen. … Wenn nur in dieser Zeit nicht Bitterkeit oder Neid das Herz zerfressen hat, dass wir Großes und Kleines, Glück und Unglück, Stärke und Schwäche mit neuen Augen ansehen, dass unser Blick für Größe, Menschlichkeit, Recht und Barmherzigkeit klarer, freier, unbestechlicher geworden ist, ja, dass das persönliche Leiden ein tauglicherer Schlüssel, ein fruchtbareres Prinzip zur betrachtenden und tätigen Erschließung der Welt ist als persönliches Glück.“ (Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft)
Soweit die Botschaft eines Christen, der dem Tod ins Auge blickte, an seine Nachgeborenen. Wir können in unserer Zeit nur bestehen, wenn wir uns ihren Kämpfen und Zerrissenheiten, ihren Demütigungen und Schwierigkeiten stellen und das Notwendige tun lernen.
Dieser Text steht unter CC-0 und darf frei geteilt und modifiziert werden.
Erschienen am 08.04.2020
Aktualisiert am 08.01.2021