Die Rolle der Akademie für die Zukunft des Diskurses
Impulse von Ellen Ueberschär und Ralf Meister
Für eine „Rückkehr der Gesprächskultur jenseits des Gebrülls“ gibt es zwei Voraussetzungen, meint Dr. Ellen Ueberschär: Räume für öffentliche, sachliche Debatten und die Schärfung der Sensibilität für Sprache. An der Schaffung dieser Voraussetzungen können die Evangelischen Akademien mitwirken, sagte die Theologin am 13. Januar beim Symposium „Zukunft der Diskurse - Zukunft der Akademie“ zum Abschied von Akademiedirektor Rüdiger Sachau. Den zweiten Impuls brachte Landesbischof Ralf Meister ein. Der leitende Geistliche der Evangelisch- lutherischen Landeskirche Hannovers fragte nach den Möglichkeiten der Evangelischen Akademien als Orte für „eine Kommunikation, die nach Wahrheit ringt“.
Die Akademien begäben sich in die moralischen, sozialen, ethischen Grenzfragen dieser Gesellschaft hinein, sagte Ellen Ueberschär, die eine von zwei Vorständen der Heinrich-Boell-Stiftung ist. Akademien seien „der ausgezeichnete Ort einer Debatte, die weder dem hemmungslosen Relativismus noch einem einfältigen Fundamentalismus anheimfällt, und die dem Zweifel als Navigator eigenen Denkens vernünftigen Raum zugesteht“.
Aber Gespräche, in denen unterschiedliche Meinungen ausgetauscht, Konsens und Dissens festgehalten werden können, sind rar, konstatiert die Theologin. „Statt auf die Schönheit und Überzeugungskraft von Argumenten zu vertrauen, herrscht eine Gnadenlosigkeit, die es mit der mittelalterlichen Inquisition aufnehmen kann. In den unsozialen Medien werden Menschen regelrecht hingerichtet“.
Wenn „Ressentiments gegen Minderheiten, Andersgläubige, Frauen, Homosexuelle und Journalistinnen das Maul verboten wird“, so Ueberschär, dann sei das kein Verbot, sondern „eine Diskursregel, die alle Teilnehmenden respektiert“. Wenn diese Regel gebrochen werde, belaste dies nicht das Konto eines vorgeblich moralisch verengten „Mainstreams“, sondern „dann handelt es sich um eben jene Krise des Gespräches unter Demokratinnen und Demokraten, das innerhalb der pluralen Gesellschaft nur gelingen kann, wenn Respekt und Anstand noch eine Bedeutung beigemessen wird“.
Mit Beschwichtigung werde die Rückkehr zu einer Gesprächskultur jenseits des Gebrülls nicht gelingen, ist Ueberschär sicher. Nötig sei eine Streitkultur, die klaren Regeln folge. Es brauche Räume für öffentliche, sachliche Debatten, „die nicht in den werbe- und likes-finanzierten Privatmedien des Internets geführt werden können und den um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfenden Printmedien nicht allein aufgebürdet werden dürfen“, unterstrich sie. Evangelische Akademien seien ein öffentlicher Raum, „in dem eben jene ethische Metareflexion gelingen kann, die nicht den emotional aufgeladenen Metadiskurs führt, sondern den Diskurs über die Sache“. Im Blick auf die Sensibilität für Sprache sagte sie: „Die Spuren der Sprachgifte aus beiden Diktaturen – sie sind noch vorhanden, Wörter, die sich aus dem Massengrab erheben, Denken und Reden in unserer Gesellschaft so vergiften, dass Lüge zu Wahrheit und Wahrheit zu Lüge wird.“
Landesbischof Ralf Meister bezeichnete den Einsatz für unsere demokratische Grundordnung als „keine leichte Aufgabe in einer Zeit, in der immer mehr Bürgerinnen und Bürger demokratischer Staaten Politikern ihre Stimmen geben, die sie dreist und offensichtlich belügen“. Eingeteilt würde nicht mehr nach „wahr“ oder „unwahr“, sondern nach „gefällt mir“ und „gefällt mich nicht“: „Was mir gefällt, ist wahr. Was mir nicht gefällt, ist unwahr.“ „Was heißt das für uns?“, fragte der Leitende Geistliche mit Blick auf die Rolle der Kirche und ihrer Akademien. „Genügt es, mit Fakten und dem, was wir als Wahrheit erkennen, zu argumentieren?“ Von Politikerinnen und Politikern sollte nicht erwartet werden, dass sie die Welt erklären. Die Evangelischen Akademien seien hervorragende Orte dafür, Expertinnen und Experten zu Wort kommen zu lassen. „Hier geschah und geschieht diese Kommunikation, die um die Wahrheit ringt.“
Der Bereich der öffentlichen Rede sei ein zerbrechliches Gut, warnte Meister. Er werde in der Regel durch Kompromisse und einen Konsens zusammengehalten. „Dieses Eis ist dünn.“ Ein Konsens über das, was erlaubt und das, was verboten ist - dieser Raum „entsteht erst, indem öffentlich gesprochen wird“.
Die Suche nach Kompromissen oder einem Konsens werde unter der Dominanz der Akteure im öffentlichen Raum verhindert, meint der Landesbischof. Aus dieser Gemengelange entstünden scharfe Abgrenzungen. „Es bildet sich ein Moraldiskurs, der zwischen der richtigen oder der falschen Moral teilt und sie bis in die Zustimmung bestimmter Begriffe dekliniert.“ Das eine solche sich kämpferisch begegnende Besetzung des öffentlichen Raumes zu Radikalisierungen führe, sei wenig überraschend.
Es gebe leider kaum einen Ort, an dem in leiblicher Anwesenheit diese radikale Vielfalt der zerrissenen Gesellschaft, die zwischen rechter und linker Identitätspolitik hin- und her lichtert, zusammengebracht werden könne, so Ralf Meister. „Sind Evangelische Akademien solche Orte?“
Erschienen am 18.01.2020
Aktualisiert am 06.01.2021