"Nicht schweigen, wenn Menschen angegriffen werden"
Prälat Martin Dutzmann zum Holocaust-Gedenktag
Verantwortung zu übernehmen, bedeutet mehr als bloße Erinnerung, meint Prälat Martin Dutzmann. „Verantwortung übernimmt nur, wer auch die Gegenwart und die Zukunft in den Blick nimmt und das Gebotene tut“, so der Bevollmächtigte des Rates der EKD in seinem Grußwort beim „Requiem für Auschwitz“ am 26. Januar im Berliner Dom. Dort waren die „Roma und Sinti Philharmoniker“ aus Anlass des 75. Befreiungstages von Auschwitz-Birkenau erstmals gemeinsam mit dem jüdischen „Synagogal Ensemble Berlin“ aufgetreten.
„Erinnerung ist Aufruhr“, zitierte Martin Dutzmann, der Gesellschafter der Akademie ist, den ungarischen Schriftsteller György Konrád. Aufruhr bedeute, „nicht zu schweigen, wenn vergangene Verbrechen vergessen zu werden drohen, und nicht wegzuschauen, wenn frühere Zivilisationsbrüche banalisiert werden“. Aufruhr heiße auch, „nicht zu schweigen, wo Menschen mit Worten oder mit Fäusten angegriffen werden. Zu solchem Aufruhr verpflichtet uns unser christlicher Glaube, der in jedem Menschen das Ebenbild Gottes erkennt.“
Romani Rose und Staatsminister Roth warnen vor Verharmlosung der NS-Zeit
Berliner Dom erinnert an Holocaust-Opfer
Berlin (epd). Mit einem Gedenkgottesdienst und einem Konzert ist am Sonntag im Berliner Dom an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnert worden. Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, erklärte zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar laut vorab verbreitetem Redemanuskript, Erinnern an die Opfer bedeute immer auch "gelebte Verantwortung für die Gegenwart" und das Gemeinwesen.
Im Rahmen des Gedenkkonzerts am Sonntagabend spielten die "Roma und Sinti Philharmoniker" unter der Leitung ihres Dirigenten Riccardo Sahiti das 2012 uraufgeführte "Requiem für Auschwitz" von Roger Moreno-Rathgeb. Begleitet wurden sie vom Synagogal Ensemble Berlin.
Rose betonte, Erinnern habe "nichts mit einer Übertragung der Schuld an nachfolgende Generationen zu tun", sondern sei Mahnung und unterstreiche die Bedeutung von Demokratie und Rechtsstaat. Der Name "Auschwitz" stehe dabei als Symbol für den Holocaust, in dem 500.000 Sinti und Roma, sechs Millionen Juden und viele andere ermordet wurden.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), warnte laut Redemanuskript: "Wir leben auch heute wieder in brandgefährlichen Zeiten." So werde der Holocaust unverblühmt in Frage gestellt und die NS-Geschichte verharmlost und verfälscht. Minderheiten würden angegriffen oder diskriminiert. Demokraten, "die nicht schweigen und sich wegducken", würden mit dem Tode bedroht. Demokratieverachtung werde mit den Worten "Man wird doch wohl noch sagen dürfen..." als legitime Kritik verharmlost. Roth rief dazu auf, "dagegenzuhalten" und sich "deutlich von der oft lauteren rassistischen und antisemitischen Minderheit klar abzugrenzen".
Im Gottesdienst am Sonntagvormittag betonte die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bosse-Huber, in ihrer Predigt, Zukunft brauche Erinnerung. Die Erinnerung an den Völkermord durch die Nationalsozialisten sei nötig, "damit Vergebung und Versöhnung eine Chance bekommen, selbst dann, wenn keine Heilung mehr möglich ist".
Zugleich plädierte Bosse-Huber für eine "menschenfreundliche Kultur der Achtung und des Respekts". Eine christliche Existenz ohne Nächstenliebe sei schlicht nicht möglich, betonte die im Kirchenamt der EKD für Ökumene und Auslandsarbeit zuständige Theologin.
Für die Angehörigen der Sinti und Roma sei dasselbe Schicksal vorgesehen gewesen wie für die jüdische Bevölkerung, sagte Bosse-Huber. Für die Mehrheitsgesellschaft bedeute dies, "Wahrheiten auszuhalten und anzuerkennen" und sich "einen brutal ehrlichen Spiegel vorhalten zu lassen".
Sinti und Roma wurden in der Nazi-Zeit systematisch als sogenannte "Zigeuner" verfolgt. Erst Anfang der 1980er Jahre wurden die NS-Verbrechen an Sinti und Roma in der Bundesrepublik als Völkermord aus "rassischen" Gründen offiziell anerkannt, wie Bosse-Huber betonte.
epd-Meldung vom 26. Januar 2020
Erschienen am 23.01.2020
Aktualisiert am 13.02.2020