Freude, Ungewissheit, Ehrfurcht, Stolz
Adventsblog „Geburt und Anfang“ │ Anne Janssen und Wiebke Papenbrock
Als Abgeordnete in den Bundestag einzuziehen, ist ein Anfang auf vielen Ebenen: Sprichwörtlich über Nacht lässt man die bisherige Arbeit hinter sich, findet sich in einer neuen Rolle wieder, muss Büroräume finden, Mitarbeitende einstellen und das Privatleben umorganisieren. Zwei frischgewählte Abgeordnete berichten von ihren Gefühlen und Erfahrungen in den ersten Wochen nach der Wahl.
Anne Janssen
„Ich bin über die Landesliste gewählt worden, deshalb war am Wahlabend noch gar nicht klar, ob ich nun einen Sitz im Bundestag habe oder nicht. Als das Ergebnis dann feststand, habe ich mich riesig gefreut.
Gleichzeitig kam aber auch Ungewissheit dazu: Was kommt da alles auf mich zu, wenn sich das Leben jetzt komplett ändert, auch für uns als Familie? Ich, die ich bislang für unsere drei Kinder der Hauptansprechpartner war, falle zu Hause in Teilen weg. Wie gravierend das wird und wie die Familie das mitmacht, kann man im Vorfeld ja nicht zu hundert Prozent voraussagen, und es wird bestimmt auch immer mal Höhen und Tiefen geben. Mein Mann ist selbständig und hat jetzt seine Arbeitszeiten etwas eingeschränkt. Am Nachmittag wird er die Firma für die Laufkundschaft künftig schließen.
Überwogen hat aber ganz klar die Freude und schon weit davor die Vorfreude. Ich habe gut ein Jahr lang auf die Wahl hingearbeitet, musste mich zuerst unter drei Mitbewerbern in der Partei durchsetzen. Dann kam der Wahlkampf, und der stand natürlich sehr im Zeichen von Corona.
Im Vorfeld der Wahl habe ich immer gesagt: Ich kann mich doch jetzt noch nicht um eine Wohnung oder ein Büro in Berlin kümmern – ich weiß ja noch gar nicht, ob ich gewählt werde. Als es plötzlich soweit war, habe ich gedacht: Oh Gott, jetzt muss ich auf die Schnelle Mitarbeiter, Büroräume und eine Wohnung finden. Das lag so als Berg vor mir. Eine Kollegin hat mir dann gesagt: ‚Das machen wir alles nach und nach, eines nach dem anderen.‘
Bis jetzt hat sich tatsächlich alles ganz gut gefügt. Sehr bald kamen Bewerbungen, und als erstes habe ich eine Büroleiterin eingestellt. Vieles hat sich fast von selbst aus Gesprächen ergeben: Da wusste plötzlich jemand einen Mitarbeiter für mein Wahlkreisbüro, und es fand sich ein Übergangsbüro in Berlin. Jetzt bin ich quasi oben am Berg angekommen; jetzt kann es mit der inhaltlichen Arbeit losgehen.
Als feststand, es geht in die Opposition, dachte ich schon: Schade! Ich bin diesen Weg ja auch gegangen, um aktiv entscheiden und mitgestalten zu können. Inzwischen habe ich diese Rolle aber angenommen. Vielleicht kann man als Opposition auch mal ein wenig mehr über die Stränge schlagen und etwas forsch sagen: ‚Liebe Regierung, jetzt macht das mal so!‘ Dass man da mal den Finger in die Wunde legen kann, reizt mich auch ein bisschen.
Die erste Euphorie hat sich inzwischen etwas gelegt. Ein Stück weit wird sie auch durch anderes ersetzt. Als ich zum Beispiel das erste Mal in den Plenarsaal kam und dort den Bundesadler und die blauen Abgeordnetenstühle gesehen habe, ist mir noch einmal klargeworden, was das für eine Verantwortung ist und was ich da für ein Privileg habe, für das ganze Land mitzugestalten. Da habe ich schon Ehrfurcht gespürt und ein Stück weit Stolz.“
Anne Janssen (CDU) aus Wittmund kandidierte bei der Bundestagswahl 2021 für den Wahlkreis Friesland – Wilhelmshaven – Wittmund und zog über die niedersächsische Landesliste ihrer Partei in den Bundestag ein. (Protokoll: Christoph Dreyer)
Wiebke Papenbrock
"Wie ich mich gefühlt habe, als klar war, dass ich die Wahl gewonnen habe und Mitglied des Deutschen Bundestages werde? Ich war glücklich, dankbar und habe – anders als man vielleicht vermuten würde – eine große innere Ruhe verspürt. Denn Anfänge haben für mich tatsächlich immer einen Zauber.
Und so bin ich voller Zuversicht an meine neue Aufgabe gegangen. Sehr viele Menschen haben mir bei der Wahl ihre Stimme gegeben. Sie sind überzeugt, dass ich die Richtige dafür bin, ihre Interessen und die Anliegen, die wir hier in unserer Region haben, in Berlin zu vertreten. Es ist dieser große Vertrauensvorschuss, der mich stärkt und mir Rückenwind gibt.
Gefragt worden bin ich auch, welche Hoffnungen und Ängste der Wahlsieg bei mir geweckt hat. Fest steht: Ich war und bin voller Hoffnung – darauf, meine Fähigkeiten und Interessen nun tatsächlich in meinem Beruf vereinen zu können und für meine Region und die Menschen etwas bewegen zu können. Was für ein Glück! Ich werde meine Heimatregion im Nordwesten Brandenburgs voranbringen können, darf tolle Menschen kennenlernen und werde stets Neues dazulernen.
Befürchtungen habe ich nicht. Von Dritten wurden mitunter Bedenken geäußert, dass das Familienleben als Bundestagsabgeordnete zu kurz kommen könnte. Die Sorge teile ich nicht. Meine Familie hat für mich immer Priorität. Dass man sich hier zwischen Kind und Karriere entscheiden müsse, gehört der Vergangenheit an. Der 20. Deutsche Bundestag ist jünger, multikultureller und weiblicher als je zuvor. Das sind die besten Voraussetzungen, um solch alte Zöpfe abzuschneiden und überholte Denkmuster hinter sich zu lassen. Ich bin sicher, dass wir als Gesellschaft schon viel weiter sind. Ich gehe da gerne weiter mit voran!"
Wiebke Papenbrock (SPD) aus Neuruppin wurde bei der Bundestagswahl 2021 als Direktkandidatin im Wahlkreis Prignitz – Ostprignitz-Ruppin – Havelland I gewählt.
Erschienen am 10.12.2021
Aktualisiert am 15.12.2021