Geburtsschmerzen und die Umkehr der Kirche
Adventsblog „Geburt und Anfang“ │ Lý-Elisabeth Dang
Das Gebären kann uns etwas erzählen über das Sterben oder die Vitalität einer Kirche. Noch etwas zögerlich steht sie am Anfang einer Umkehr zu Jesus, der uns in die Realität einer postmigrantischen Gesellschaft ruft. Gefordert sind Zuhören, Selbstarbeit und der Abschied von falschen Gewissheiten und Privilegien einer „weißen“ Kirche.
Ohne das Wunder des Gebärens und der vorangegangenen Schwangerschaft gäbe es kein menschliches Leben. Stellen Sie sich kurz vor, Frauen hätten es verlernt zu gebären. Dann würde es eine Zeit geben, in der nicht mehr geboren wird. Mancher Science-Fiction-Film wie „Children of Men“ erzählt davon – auch eine Art Weihnachtsgeschichte.
Nachdem ich mein erstes Kind geboren hatte, habe ich große Achtung gewonnen vor allen Müttern dieser Welt und auch vor unseren Körpern. Ein Wunder, wie das Kind den Ausweg Wehe für Wehe findet. Dass es tatsächlich durch diese sonst eher kleine Öffnung passt. Noch nie in dieser Form erlebte Schmerzen und zugleich Oxytocin, das Vertrauenshormon, im Einsatz. Es wird beim Stillen, beim Orgasmus, bei wohltuender körperlicher Nähe und in Vertrauensbeziehungen ausgeschüttet.
Das Gebären ist eine zutiefst körperliche Erfahrung. Mit dem Kopf kann man es unterstützen, indem man sich darauf einlässt und die Kontrolle an den Körper übergibt. Ihm zutraut, diese Reise mit den Hebammen – Reisebegleiter*innen – gut zu meistern.
Da ist Angst vor Komplikationen, Angst vor Verlust, Angst vor dem Tod und gleichzeitig eine unglaubliche Kraft, die den Körper durchflutet. Als Erstmutter kann es Angst vor den Veränderungen danach geben. Das Werden des Kindes hat unsichere, unverfügbare Seiten. Es kann noch im Mutterleib sterben. Es ist ein Geschenk, Gnade, wenn es geboren wird.
Das ungeborene Kind: Es steht noch nicht fest, wie es sein wird. Es hat seine ganz eigene Persönlichkeit. Möglicherweise sind die Vorfahr*innen darin wiederzuerkennen. Ob es jedoch die Nase, die Ohren, die Haar- oder Augenfarbe ist, ob es die Grübchen sind, die Hand- oder Fußform, das alles gilt es erst zu entdecken.
Eine Kirche, die verlernt hat umzukehren, kann nicht gebären
Eine Kirche, die verlernt hat, umzukehren zu Jesus, zu bereuen, den Sinn zu ändern, verliert ihre Fähigkeit zu gebären – in unverfügbarer Kooperation mit der Heiligen Geistkraft Lebendigkeit zu schenken. Ihre Vitalität nimmt ab. Nicht sofort. Langsam. Schmerzhaft sind die nötigen Wehen, die zur Transformation führen.
Wir leben in einer postmigrantischen Gesellschaft. In unseren weiß dominierten Landeskirchen wird erst langsam über Repräsentation, die über Gender-Vielfalt hinausgeht, mehr und mehr nachgedacht. Die jüngste, rein weiße Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ließ diese noch schmerzlich vermissen. Die Theologiestudentin Julia Schönbeck, die sich für die Inklusion behinderter Menschen in der Kirche einsetzt und für den EKD-Rat kandidierte, hätte eine Perspektive und Stimme mitgebracht, die Wehen fördernd für unsere Kirche gewesen wäre.
Der Vergleich hat sicherlich seine Grenzen. Dennoch meine ich, lohnt es sich, Gebären und Umkehren einmal zusammenzudenken. Zumal das hebräische Wort für Barmherzigkeit mit der Gebärmutter zusammenhängt. In diesem Sinne geht es um eine Reue, die niemanden gereut, weil ihre Quelle die Barmherzigkeit G*ttes ist. Sie ist befreiend, erleichternd, transformierend. Doch sie ist nicht wie beim Konsumieren zu haben. Umkehren geschieht nicht ohne Selbstarbeit und bedarf der unverfügbaren Gnade Gottes.
Natürlich gibt es nicht die Kirche, auch nicht die weiße Kirche. Gleichwohl stehen wir kirchengeschichtlich an einem großen Wendepunkt, ähnlich wie und doch anders als die Reformation. Demnächst werden 2000 Jahre Tod und Auferstehung Jesu Christi, einer Person of Color, gefeiert – ökumenisch und weltweit. Die Impulse und die Vorbereitungen dazu kommen aus eurozentrierter Sicht von den Rändern. Die EKD und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, sie werden erst kurz vorher auf den Zug aufspringen. Erst einmal sind sie in der Ignoranz und der Abwehr.
In diesen Tagen beginnen deutsche BIPoCs (Black, Indigenous, and People of Color) aus deutschen kirchlichen Kontexten, an einer Charta zu schreiben. Darin werden konkrete Umkehrschritte für unsere weiß dominerte Kirche aufgeführt.
Umkehren zu Jesus, einer Person of Color: Als weiße Person muss man dazu jenen zuhören, die man als zunächst anstrengend erfährt und lieber ignorieren möchte. Für die eigenen Gefühle Verantwortung übernehmen zu können, verlangt Einübung. Es geht also nicht ohne Selbstarbeit. Dazu gehört, sich für einen Moment zurückzunehmen, die Perspektiven von Betroffenen wahrzunehmen, Sackgassen und Zielverfehlungen zuzugeben, das bisher einseitig erzählte Vergangene aufzuarbeiten, Privilegien und sogar Besitz zu teilen und abzugeben.
Nur weil unsere historisch gewachsenen Strukturen am Ende sind, ist G*tt mit uns noch nicht am Ende. G*tt will uns ganz: Herz, Leib und Kopf, unser Begehren. Nicht nur sonntags, nicht nur Schreibtischtheologie. Nicht nur weiß.
Das Umkehren, es kann wie Gebären sein. Es braucht eine Schwangerschaft durch die Heilige Geistkraft, die spürbare Gegenwart Gottes. Wir werden in diesem Sinne ein Leben lang Christ*innen, und sind nie fertig damit. Auf, auf! Es lebe das Gebären!
Ein Liebesbrief an „meine“ weiße Kirche:
Oh du weiße alte Kirche,
du stirbst und ahnst es wohl
und willst es doch nicht wahrhaben.
Früher war alles besser, sagst du.
Welches bessere Früher du auch meinst, es ist nie gewesen.
Bei deinen Schwarzen Schwestern und denen of Color
habe ich eine Lebendigkeit erlebt,
die mich näher zu Gott gebracht hat.
Lass los, was dich noch gefangen hält,
die vermeintliche Überlegenheit,
die dir noch den Blick verschleiert.
Dein kranker alter weißer Körper,
ja, er stirbt und er wird weiter sterben.
Ja, es schmerzt hinzuschauen,
wo du anderen bewusst und unbewusst:
Unrecht getan hast, weiße Privilegien nutzt,
den „Kirchraum“ nicht teilen wolltest und willst,
wo du ausgrenzt alles, was dir „anders – fremd“ ist.
Ja, es schmerzt hinzuschauen,
doch es ist nötig, um sehen zu lernen,
um andere Entscheidungen zu treffen,
um anders in Zukunft zu handeln,
um anders zu sprechen und zu hoffen,
um zu heilen.
Deine Zukunft liegt im bunten Leib Christi.
Jesus war nie weiß.
Er war schon immer of Color
und er wird es immer sein.
Lý-Elisabeth Dang (Pronomen: sie/ihr) ist als Mutter und Person of Color engagiert in der Antira-Gruppe in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und in einem bundesweiten BIPoC-Netzwerk. Sie ist Pfarrerin im missionarischen Erprobungsraum im Evangelischen Kirchenkreis Zossen-Fläming.
Erschienen am 22.12.2021
Aktualisiert am 22.12.2021