Vom Standpunkt der Erlösung
4.4.2021 | Blog | Christian Staffa
„Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik.“
Auch wenn Theodor W. Adorno diese Sätze am Schluss der Aphorismen Minima Moralia sicher nicht als Wertschätzung christlicher Theologie seiner Zeit gelesen haben wollte, mag es erlaubt sein, von ihnen als christlicher Theologe zu lernen. Ich jedenfalls habe von der kritischen Theorie viel Theologie gelernt.
Standpunkt der Erlösung, Befreiung von Sklaverei und Tod, wie es in der Kampagne „#beziehungsweise - jüdisch christlich - näher als du denkst“ heißt. Exodus aus dem Sklavenhaus Ägypten und – Auferweckung Jesu. Auch in diesem Jahr fallen diese Fragmente des Vorscheins der Erlösung im Kalender zusammen: Pessach und Ostern.
Standpunkt der Erlösung: Von hier aus, von der Befreiung aus der Sklaverei, der verheißenen Freiheit und Gerechtigkeit, von der Überwindung des Todes aus fällt gleißendes Licht auf diese Welt. Dieses Licht ermutigt mich, wahrzunehmen, wie sehr die Schöpfung unter uns stöhnt und ächzt, vielleicht sich wehrt gegen diesen Virus, der uns in Beschlag nimmt und uns Grenzen zeigt, wo wir sie gerade in Europa kaum kennen.
Standpunkt der Erlösung: Von hier aus sehen wir unsere babylonischen Gefangenschaften an den Fleischtöpfen Ägyptens, grell meine weißen Privilegien in der Welt voll Angst und Gewalt, kulturalisierende und ethnische Zuschreibungen zum Weltordnen – ein System von Gewaltförmigkeit, wenig Zwischenfarbtöne möglich – auch sie erscheinen neu im Licht, Gott sei Dank.
Standpunkt der Erlösung: Sehnsucht der gesamten Schöpfung nach Bewegung zum Guten als Widerstand gegen die Tode dieser Welt. Vielleicht ist dann der Standpunkt nicht mehr ein Standpunkt, sondern wird zur Bewegung. Einer Bewegung von Ostern her, der Auferweckung Jesu, vom leeren Grab her unterwegs nach Galiläa – Nachfolge. Eine Erlösungsbewegung, die weiß, dass sie sich nicht selbst erlösen, aber unterwegs sein kann – am Ende: das Leben. Unterwegs sein inklusive Wüstenwanderung im Zeichen der Hoffnungen und der Verheißungen auf neues Leben in Gerechtigkeit und als Ebenbilder Gottes. Wüstenwanderung, o ja, wem fällt dazu gerade nicht unendlich viel ein. Auch wenn wir als Gesellschaft in der Pandemiewüste mehr Manna und Zelt haben als so viele andere Länder, verschärft sich bei Licht besehen bei uns das Gefälle, zwischen Arm und Reich, zwischen den Geschlechtern.
Wüstenwanderung, und doch auch: Wunder gibt es immer wieder neu. Vor zwei Wochen, am 21. März, gab es den ersten Gottesdienst von „BIPoC – Black, Indigenous, People of Color“ bundesweit ausgestrahlt – Befreiung von Unsichtbarkeit und darin in diesen Zeiten ein kleines Wunder, ein Angeld auf eine Veränderung von Kirche. Wüstenwanderung nach der Shoah, ein Wunder an jüdisch-christlicher Begegnung. Auch da gibt es noch viel Wüste, aber eben auch kleine Wunderoasen. Sie zu verbinden sind wir durch Ostern ermutigt und unterwegs, durch Exodus und den Geist geleitet: Protestleute gegen Sklaverei und Tod.
Anders gesagt: Dann hebt sich der Schleier, der über der Welt lagert, die Nebel zerreißen, die vermessenen Maße des Menschen fallen und das Maß Gottes wird offenbar. (Jakob Taubes)
Am Ende: das Leben!
Christian Staffa ist Studienleiter für demokratische Kultur und Kirche/Bildung und Beauftragter der EKD für den Kampf gegen Antisemitismus.
Erschienen am 25.03.2021
Aktualisiert am 04.04.2021