2021-04-29 Blog Anne Eichhorst

Ein tröstlicher Gedanke

29.4.2021 I Blog I Anne Eichhorst

Osterblog

© EAzB / Ulf Beck

Jesus Christus ist gestorben, wurde begraben, stieg hinab in das Reich des Todes – und ist am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel. Welch tröstlicher Gedanke. Der Tod ist nicht das Ende, sondern vielmehr ein Übergang. Dennoch zweifele ich oft, wenn ich das Glaubensbekenntnis spreche, und frage mich: Wie soll das gehen? Sein Leib ist vergangen. Wie kann er dann auf(er)stehen? Wie kommt er in den Himmel und wie sieht es dort aus? In dieser Hinsicht sind die Ausführungen wirklich nicht sehr konkret. Meine Gedanken schweifen dann ab in unendliche Weiten und dringen in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Ich zwinge meine Aufmerksamkeit zurück zum Glaubensbekenntnis und bin nicht selten gerade rechtzeitig zum „Amen“ zurück. Ich gebe zu, es macht mir Mühe, abstrakt zu glauben, mich von konkreten Vorstellungen zu befreien. Ich suche nach Bildern, wenn auch unscharfe, um getröstet zu sein. Ist das naiv? Vielleicht.

Als ich acht Jahre alt war, schlachtete mein Großvater mein Lieblingskaninchen Moritz. Wir hielten Kaninchen zu Hause, um sie zu essen, was mir nicht wirklich klar war. Von meinen Eltern wurde ich im Vorfeld nicht informiert, dass Schlachtetag war. So erschrak ich bei meiner Heimkehr, vor allem nachdem ich erkannte, dass das Tier unumkehrbar tot war. Ich war traurig und weinte. Es war das einzige Mal, dass mein Großvater ernst mit mir sprach und mir erklärte, dass ein Kaninchen seinen Lebenszweck erfüllt hätte, wenn es lecker angerichtet auf dem Teller seiner Ernährer landete. (Für alle, die jetzt entsetzt sind, sei erklärt, dass mein Großvater Jahrgang 1909 war und von einem großen Bauernhof kam.) Und für diesen guten Dienst komme das Kaninchen dann in den Himmel, also seine Seele … oder sein Geist … oder irgendwie so. Weiter konnten wir dieses Thema nicht erörtern, weil ich vor lauter Schluchzen kaum sprechen konnte und mein Großvater mit seinem Latein in Bezug auf das Seelenleben von Tieren und Kindern am Ende war. Für mich war es schwer zu verstehen, dass mein geliebtes Tier weg war. Ich wurde zum ersten Mal mit dem Tod und seiner Endgültigkeit konfrontiert – und mit der Frage, was danach kommt. Ich malte mir aus, wie mein Moritz auf einer immergrünen Wiese mit saftigem Löwenzahn grast, ungestört von Regen oder gar Schnee, in Gemeinschaft mit anderen Kaninchen, geschützt vor bösen Wölfen. Diese Vorstellung tröstete mich und ließ mich den Verlust ertragen.

Jahre später spielte der Tod eine noch größere Rolle in meinem Leben. Mein Vater verstarb. Die Frage nach dem, was nach dem Tod kommt, beschäftigte mich erneut, sehr viel essentieller. Wohin geht der Mensch, wenn er gestorben ist? Was würde mit meinem Vater geschehen? Sein Körper freilich verdarb. Doch seine Seele? Ich glaubte fest daran, sie würde an einen besseren Ort gelangen. An einen Ort, an dem es keine Krankheit, Geldsorgen und Strafzettel gab. Ich war dankbar dafür, dass die Last von ihm gefallen sein würde, er befreit wäre von Schmerzen ebenso wie von düsteren Gedanken. Doch es fiel mir schwer, seinen Tod zu akzeptieren. Ich war wütend, haderte mit Gott, gab mir selbst Schuld. Zunächst unbemerkt, dann aber umso stärker tröstete mich der Glaube daran, dass mein Vater in Gottes Hand ist, beschützt und geliebt. Diesmal brauchte ich keine konkreten Bilder. Ich stellte mir keine gesellige Runde bei Kaffee und Kuchen vor. Mir reichte die Gewissheit über Gottes Wohlwollen. Und doch keimte leise Hoffnung in mir auf, irgendwann auch „dorthin“ zu kommen, an den Ort, wo schon mein Vater wartet. Ein kindlicher Glaube? Ich klammere mich an ihn. Eine naive Vorstellung? Sie lässt mich zuversichtlich nach vorn blicken. Es wird ein „danach“ und ein Wiedersehen geben. Doch bis es so weit ist, halte ich es mit den Worten: Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot.

Anne Eichhorst ist Assistentin des Antisemitismusbeauftragten der EKD sowie Projektsachbearbeiterin des Projektes DisKursLab.

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