Kirche muss öffentlich präsent sein
Akademiedirektorin Friederike Krippner im epd-Interview
Seit gut einem Jahr ist Friederike Krippner inzwischen Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) hat sie darüber gesprochen, wie die Corona-Pandemie die Arbeit der Akademie verändert hat und bei welchen Themen sie künftig Schwerpunkte setzen will.
epd: Frau Krippner, Sie haben im August 2020 das Ruder der Evangelischen Akademie hier in Berlin übernommen, in einem Jahr also, in dem wegen der Corona-Pandemie vieles anders laufen musste als gewohnt. Wie ist das erste Jahr verlaufen?
Friederike Krippner: Ich bin in eine Akademie gekommen, die schon dabei war sich neu zu erfinden. Vieles war anders als zuvor. Es gab eine längere Vakanz in der Leitung. Bis zum Jahresbeginn 2020 war die Akademie ein ganz auf Präsenz ausgerichteter Betrieb, was die Veranstaltungen angeht. Da musste vollkommen umgedacht werden. Mit dem ersten Lockdown im März und April 2020 fielen die meisten Veranstaltungen aus, ab Mai gab es aber schon wieder fast die gleiche Anzahl an Veranstaltungen wie zuvor. Hier wurde also sehr schnell umgeplant. Und zusammen haben wir uns dann zur Aufgabe gemacht, die Akademie digital neu zu erfinden.
Wie hat sich die coronabedingte Umstellung auf digitale Veranstaltungen auf die Teilnehmerzahlen ausgewirkt?
Tatsächlich haben sich die Zahlen in einzelnen Veranstaltungen verdoppelt oder gar verdreifacht. Insgesamt haben wir im vergangenen Jahr 5.489 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezählt. 2019 waren es 3.206. Was wir weniger gemacht haben, sind dreitägige, konzentrierte Veranstaltungen. Wir bieten jetzt sehr viel mehr Abend- und Nachmittagsveranstaltungen und kürzere Formate an. Im Oktober etwa thematisieren wir in einer Online-Veranstaltung in unserem Themenstrang "Corona und die Rolle von Kirche und Diakonie" knapp fünf Stunden lang die Chancen von Online-Kommunikation unter der Fragestellung: "Kann man zu existenziellen Fragen zoomen, skypen, chatten?". Im September starten wir online mit unserer Reihe zur antisemitismuskritischen Bibelauslegung. Dazu sind acht Termine geplant, einmal im Monat.
Wie hat sich die Verlagerung auf Online-Angebote auf ihre finanzielle Lage ausgewirkt?
Wir haben kein Tagungshaus, das wir selbst bewirtschaften, auch wenn unsere festen Tagungsorte die Evangelische Bildungsstätte Schwanenwerder und die Französische Friedrichstadtkirche in Berlin-Mitte sind. Das macht uns etwas unabhängiger von den Tagungsgebühren. Anders als die Akademien etwa in Tutzing oder Loccum müssen wir unser Haus nicht aus wirtschaftlichen Gründen voll kriegen. Auf der anderen Seite sind Online-Veranstaltungen auch tatsächlich günstiger. Und viele Veranstaltungen haben wir schlicht umsonst angeboten. Das ist inzwischen Usus auch bei vielen Stiftungen. Dauerhaft stellt uns das aber doch vor Probleme, denn auch eine Online-Veranstaltung kostet Geld, angefangen bei den Referierenden-Honoraren über die Technik bis hin zu den Studienleiterinnen und der
Verwaltungsinfrastruktur hier im Haus.
Haben Sie rückblickend auf dieses ungewöhnliche Jahr schon eigene Schwerpunkte setzen können?
Bislang haben wir unter anderem einen Schwerpunkt auf Antisemitismuskritik, Rassismuskritik und den ganzen Bereich der demokratischen Kultur gehabt. Den wollen wir auch weiter ausbauen. Das Zusammenleben in einer diversen, sehr säkular geprägten und zugleich multireligiösen Gesellschaft beschäftigt uns in Berlin und Brandenburg ja tagtäglich. Das gilt auch für Fragestellungen rund um die Pflege, vor allem ethische Fragestellungen. Und wir müssen eine starke Stimme werden in allen existenziellen Fragen um den Anfang und das Ende des Lebens. Dazu gehören natürlich die Debatten um Sterbehilfe und um Pränataldiagnostik. Künftig soll es auch Veranstaltungen zu Kunst und Kultur geben, zum Beispiel in Kürze eine Gesprächsreihe zum Einfluss von Joseph Beuys auf Soziologie und Theologie. Kunst und Kultur spielte bisher keine große Rolle an unserem Haus. Und wir wollen junge Menschen unter 27 als Zielgruppe noch besser ansprechen. Dafür wird es jetzt auch wieder eine eigene Studienleiterin geben und wir wollen eine Dachmarke für Veranstaltungen für junge Menschen entwickeln.
Ist das ein Versuch, der Überalterung Ihres Publikums entgegenzuwirken?
Das Bild stimmt so gar nicht. Leider hängt den Akademien immer noch dieses überkommene Image an, dass sie vor allem von Pensionisten besucht würden. Tatsächlich aber haben wir viele Fachgespräche mit Multiplikatoren und Entscheiderinnen, das heißt mit Menschen, die in der Mitte des Berufslebens stehen. Wir sehen uns auch nicht mehr als reiner Veranstaltungsbetrieb, sondern setzen auch darauf, unsere Themen durch andere Kommunikationsformen zu setzen, wie Podcasts und Blogs.
Dann werden Sie Ihre Kommunikation also umstellen und verstärkt auf neue Formate setzen?
Es ist sehr schwierig, 25-Jährige dazu zu bewegen, für drei Tage auf die schöne Insel Schwanenwerder an der Havel zu fahren, wo viele unserer Tagungen normalerweise stattfinden. Das entspricht nicht deren Lebenswirklichkeit. Das kostet sie viel Zeit und Geld. Deshalb brauchen wir andere Methoden, Menschen, die in der Ausbildung oder im Berufsleben stecken, zu erreichen. Wir müssen die Grundidee der Akademien in die Gegenwart übersetzen. Als Akademie wollen wir ein Forum sein für Austausch und den Streit um Sachfragen. Wir wollen innerkirchlich wie in der Öffentlichkeit die Debatte um ethische Fragen fördern. Dazu braucht es neue Diskursformate wie Online-Veranstaltungen mit "Breakout-Sessions", in denen dann in kleiner Gruppe weiter und offener debattiert werden kann. Und wir müssen unsere Kommunikation nach außen überdenken. Das gilt für Kirche allgemein. Wenn wir die öffentliche Debatte beeinflussen wollen, müssen wir auch auf Instagram und Twitter präsent sein. Wir sehen es doch gerade an der "Querdenken"-Bewegung: Die Lautesten haben nicht unbedingt die demokratischsten Ideen. Da müssen wir dagegenhalten.
Sind dafür auch in Zukunft 17 evangelische Akademien im Land nötig?
Natürlich. Wir können bei allen Spardiskussionen und Debatten um die Kernkompetenzen von Kirche nicht daran sparen, in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Das tun genau die Akademien. Jedes Haus hat dabei sein eigenes Profil. Und wenn Sie in Niederbayern wohnen, werden Sie in aller Regel nicht zu einer Veranstaltung nach Berlin kommen. Das heißt: Wir müssen in der Fläche präsent sein. Und deshalb gibt es fast in jeder evangelischen Landeskirche eine eigenständige Akademie – mit der Besonderheit, dass wir in Berlin je hälftig von unserer Landeskirche und von der EKD getragen werden.
Das epd-Gespräch führte Lukas Philippi.
Erschienen am 26.08.2021
Aktualisiert am 10.11.2021