Chancen für die Zukunft
Pflegeausbildung unter Corona-Bedingungen
„Wir haben genügend junge Menschen, die sich ausbilden lassen. Aber in den ersten Berufsjahren verlieren wir sie“, so Alexander Warnke von der Initiative Walk of Care. Daher müsse die Pflegeausbildung gute und für die Zielgruppe passende Rahmenbedingungen bieten, betonte er im Rahmen des digitalen Fachgesprächs „Pflegeausbildung unter Corona-Bedingungen“ am 17. Mai 2021. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen Überlegungen, welche Chancen die Corona-Pandemie für langfristige Innovationen in der Pflegeausbildung bietet und wie die Ausbildung für eine zunehmend diverse Gruppe an Menschen attraktiver gestaltet werden kann.
Alexander Warnke unterstrich, dass der Personalmangel die größte tägliche Belastung für beruflich Pflegende sei; diese habe in der Pandemie weiter zugenommen. Insofern seien Fragen von Innovation der Ausbildung und der verbesserten Arbeitsbedingungen im Berufsfeld wichtiger denn je.
Die Statements der Podiumsmitglieder verdeutlichten, dass die pandemiebedingten Herausforderungen vielfältig sind. Sie berichteten von Ängsten der Auszubildenden und Studierenden in der Corona-Krise, etwa vor Ansteckung, zunehmender Isolation, Überforderungen im Umgang mit dem digitalen Lernen und fehlenden technischen Endgeräten sowie einem unzureichenden Austausch mit der Peer-Group. Durch die Pandemie, so die einhellige Meinung, hat die Digitalisierung einen Schub bekommen, der für die Ausbildung und das Studium nachhaltig ist. Gleichzeitig hat die psychosoziale Dimension in Ausbildung und Studium, die für einen „Beziehungsberuf“ fundamental ist, sehr darunter gelitten. Der direkte Kontakt in Gruppen und persönliche Vier-Augen-Gespräche kommen beim digitalen Lernen zu kurz. Lehrende, Praxisanleiter*innen und Auszubildende brauchen Orte der sozialen Begegnung, um füreinander da zu sein. Mitunter, so Nik Iqbal (Auszubildender Altenpflege), komme es sogar dazu, dass Menschen die erlernte Zweitsprache Deutsch fast verlernen: Ihnen fehlen schlicht die Gespräche.
Lösungen versprechen Prof. Dr. Heike Wiesner und Judith Schütze von der Hochschule für Wirtschaft und Recht (Berlin) mit der Digitalen Akademie Pflege 4.0, einem Verbundprojekt des FrauenComputerzentrumBerlin (FCZB) in Kooperation mit der Wannseeschule für Gesundheitsberufe und der Gesundheitsakademie Potsdam. Geplant ist die Entwicklung der Online-Plattform „Digitale Akademie Pflege 4.0 - DAPF 4.0“, die später den Pflegeschulen und Hochschulen bei der generalistischen Ausbildung zur Verfügung steht. In diesem Projekt stehen die Nutzer*innen im Vordergrund und nicht die Entwickler*innen. Lerninhalte sollen online jederzeit abrufbar sein – für eine diverse Zielgruppe mit heterogenen Lernbedürfnissen ist dies sehr hilfreich. Zudem werden den Auszubildenden digitale Partizipationsräume wie z.B. „Coaching on the Job“, „Digitaler Snack“ und „Kreativworkshop“ zur Verfügung gestellt, sodass unter anderem die in der Pandemie viel beklagten Defizite an informellem Austausch und Reflexion kompensiert werden können. Von Hamindokht Klein, Schulleiterin der Meco-Akademie, wurde allerdings die Befürchtung geäußert, dass die Digitalisierung zur Ausgrenzung der kleineren Ausbildungseinrichtungen mit weniger finanziellen Ressourcen beitragen könnte.
Welche zukunftsweisenden Herausforderungen und Erkenntnisse ergeben sich darüber hinaus aus der Pandemie? Alexander Warnke sieht die Forderungen von Walk of Care bestätigt: mehr politische Mitverantwortung und Partizipation der Berufsgruppe, mehr Öffentlichkeit für die Pflege, ein gesellschaftliches Umdenken in der Gesundheitsversorgung und konkretes politisches Handeln. Dafür veranstaltet die Initiative in vielen Städten, jeden Mittwoch Kundgebungen – in Berlin vor dem Bundesministerium für Gesundheit. Es würden sehr konkrete Forderungen für ein gerechteres Gesundheitssystem in den Bundestagswahlkampf getragen. Denn auch die in der Pandemie deutlich zu Tage tretenden prekären Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen führten bislang nicht zu den notwendigen politischen Veränderungen. Insofern müsse der Druck auf die Parteien und Abgeordneten erhöht werden. Das Fachgespräch endete mit dem Appell von Hamindokht Klein, die Auszubildenden und Studierenden noch mehr an das politischen Denken und Handeln heranzuführen und ihnen die Gelegenheit zu geben, an entsprechenden Aktionen teilzunehmen.
Die Fachtagung wurde von der Evangelischen Akademie zu Berlin und dem Netzwerk Vielfalt, Arbeit, Bildung in der Pflege für Menschen mit Migrationserfahrung (VABP) durchgeführt. Dem Netzwerk gehören u.a. die Evangelische Hochschule Berlin (EHB), Alice Salomon Hochschule (ASH), AOK Pflege Akademie, Interkulturelle BrückenbauerInnen in der Pflege (IBIP) und PflegeZukunfts-Initiative e.V. an.
Olivia Dibelius, Simone Ehm & Gudrun Piechotta-Henze (unter Mitwirkung von Elimar Brandt, Katharina Graffmann-Weschke, Afife Mamioglu, Nazife Sari)
Erschienen am 09.06.2021
Aktualisiert am 23.06.2021