„Kein Mensch fällt diese Entscheidung leichtfertig“
Sterbefasten als Form der Sterbebegleitung
In der Diskussion über Suizidbeihilfe taucht das sogenannte Sterbefasten als eine Option auf, wie schwerkranke oder pflegebedürftige Menschen freiwillig ihr Leben beenden können. In der Praxis wirft es viele ethische und rechtliche Fragen auf und ist meist eine große Herausforderung für Professionelle in Medizin und Pflege wie auch für Angehörige.
Wie ist in der klinischen Praxis mit dem freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit umzugehen? Wie kann die Freiwilligkeit des Sterbefastens beurteilt werden? Was ist zu beachten, wenn sich Patient*innen – zumal Menschen, die nicht im Endstadium tödlich krank sind – für diesen Weg entscheiden? Darum geht es in unserem Online-Workshop Medizinethik am 13. November.
Kristina Maria Groß ist klinische Psychologin und Psychoonkologin an der Evangelischen Lungenklinik Berlin. Sie haben wir vorab zu ihren Erfahrungen mit dem Thema Sterbefasten befragt.
Wie gehen Sie als Psychologin damit um, wenn Ihnen gegenüber der Wunsch nach Sterbefasten geäußert wird?
Kristina Maria Groß: Kein Mensch fällt die Entscheidung, das Essen und Trinken einzustellen, leichtfertig. Ich akzeptiere den Patienten in seiner Autonomie und begleite ihn, ohne seinen Willen in Frage zu stellen. Das macht es auch für mich einfacher, da ich einen klaren Arbeitsauftrag habe, dem ich folge. Ich akzeptiere und respektiere den Entschluss dieses entscheidungsfähigen Menschen, auch wenn es für mich durchaus ethisch herausfordernd sein kann.
Welche Reaktionen beobachten Sie im Umfeld der Person, die den Sterbewunsch hat?
Die Reaktionen aus dem Umfeld der Patienten sind ganz breit gefächert. Von absoluter Akzeptanz und Unterstützung über Schuldgefühle bis zu Ablehnung, diese Entscheidung zu akzeptieren und den Angehörigen zu begleiten. Hier ist sehr häufig die meiste Arbeit in der Begleitung zu leisten.
Welchen gesellschaftlichen Umgang wünschen Sie sich mit dem Thema Sterbefasten?
Für mich ist der freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken – so, wie das auch die Bundesärztekammer einschätzt – eine Form der Sterbebegleitung. Schwerkranke oder geschwächte Menschen fällen diese Entscheidung freiwillig mit ihrem Verstand für sich selbst als Ausdruck ihrer Selbstbestimmung. Ich wünsche mir hier einen offenen Umgang ohne Tabuisierung, gerade im Hinblick auf die Angehörigen, aber auch unter Berücksichtigung eventueller ethischer Konflikte des behandelnden Teams.
Kristina Maria Groß ist klinische Psychologin und Psychoonkologin an der Evangelischen Lungenklinik Berlin.
Erschienen am 14.10.2021
Aktualisiert am 23.10.2021