Wie viel Religion verträgt der öffentliche Raum?
Streitgespräch mit Christine Buchholz und Martin Hikel
Ist eine „Registerstelle für konfrontative Religionsbekundung“ ein wichtiges Instrument gegen mutmaßlich religiös bedingte Konflikte an Schulen? Oder ist es falsch, da dadurch komplexe Konflikte auf die Religionszugehörigkeit vor allem muslimischer Schüler*innen reduziert werden? Beim Abendforum zur religionspolitischen Gretchenfrage „Wie halten Sie es mit der Religion in der Politik?“ am 16. November ging es kontrovers zu.
Wie sichtbar, wie hörbar, wie viel Zumutung darf Religion im öffentlichen Raum sein? In einem anregenden Streitgespräch setzten sich Christine Buchholz, von 2009 bis 2021 Mitglied des Bundestags für „Die Linke“ und religionspolitische Sprecherin der Fraktion, und Martin Hikel, Bezirksbürgermeister in Neukölln (SPD), mit der Frage auseinander, wie es gelingen kann, dass der Staat die Religionsfreiheit aller Bürger*innen gewährt.
Martin Hikel begründete die Notwendigkeit der von ihm jüngst in Neukölln eingerichteten „Registerstelle für konfrontative Religionsbekundung“ damit, dass man eine Datengrundlage brauche, um mutmaßlich religiös bedingten Konflikten an Schulen entgegenwirken und dadurch ein Zusammenleben in Vielfalt gewährleisten zu können. Christine Buchholz übte scharfe Kritik an der Problematisierung von Religion, die sie hinter solchen Maßnahmen vermutet. Versuche, Konflikte an Schulen mit der tatsächlichen oder vermeintlichen Religionszugehörigkeit von Schüler*innen zu erklären, seien falsch. Problematisch sei besonders die Fokussierung auf Muslim*innen und muslimische Religionspraxis. Anders als Hikel betone, betreffe dieses Projekt nicht alle Religionsgemeinschaften in gleicher Weise, sondern habe eine klare antimuslimische Schlagseite.
Buchholz, die sich selbst als nicht religiös bezeichnet, sieht die Religionsfreiheit religiöser Minderheiten hierzulande insgesamt, insbesondere die religiöse Praxis von Muslim*innen, in unzulässiger Weise beschnitten. Dies betreffe vor allem muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen und aufgrund ihrer sichtbaren Religionszugehörigkeit aus bestimmten Berufsfeldern, allen voran aus dem Beruf der Lehrerin und der Richterin, ausgeschlossen würden. Hikel, Protestant und Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO), hielt dagegen, dass es sich in solchen Fällen nicht um Berufsverbote handle, sondern um notwendige Maßnahmen, die dazu dienten, staatliche Neutralität an Schulen und Gerichten zu wahren.
Das Abendforum, das mittels strenger Hygieneregeln in der Apostel-Paulus-Kirche stattfand, wurde von der Evangelischen Akademie und der Europäischen Akademie Berlin in Kooperation mit dem interreligiösen Bündnis Grenzgänge veranstaltet. Dem Bündnis gehören neben der Evangelischen Akademie die Alhambra Gesellschaft, die Apostel-Paulus Gemeinde, das Berliner Missionswerk und der Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg an. Finanzielle Förderung erhielt diese Veranstaltung von der Dr. Buhmann Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung.
Erschienen am 19.11.2021
Aktualisiert am 07.01.2022