„Zivile Konfliktbearbeitung auch finanziell stärken“
Der scheidende EKD-Friedensbeauftragte zieht Bilanz
Im November endet nach 13 Jahren die Amtszeit des ersten Friedensbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms. In einer Veranstaltung am 26. Oktober ziehen wir deshalb kritisch und selbstkritisch Bilanz über den Stand evangelischer Friedensarbeit. Vorab haben wir schon einmal mit dem scheidenden Beauftragten gesprochen.
Nicht nur ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan zeigt, wie fragil und gefährdet der Frieden weltweit ist. Wo sehen Sie aktuell die größten „Friedensbaustellen“, die wichtigsten globalen Aufgaben?
Im Moment geht es sehr stark darum, international wieder Vertrauen zwischen den Staaten herzustellen. Die Krise des Multilateralismus ist ja nicht durch Donald Trump entstanden, sondern sie wurde durch seine Präsidentschaft nur verstärkt. Letztlich haben wir diese Krise schon vorher erlebt, zum Beispiel in der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim. Im Moment geht es deshalb darum, überhaupt wieder so etwas wie Vertrauen zwischen den Staaten entstehen zu lassen und nicht in ein Denken in Einflusssphären zurückzufallen. Da dürfen wir nicht aufgeben. Und ich erwarte auch, dass die Bundesregierung – auch eine neue – sich entschieden für eine Stärkung des Multilateralismus einsetzt, auch im europäischen Rahmen.
Um Vertrauen wieder aufzubauen, braucht es Schritte einer vertraglichen Einbindung. Das Wichtigste ist dabei sicher die Frage der Atomwaffen – also, dass es eine Neuauflage von Abrüstungsverträgen wie den START-Abkommen über die Reduzierung strategischer Atomwaffen gibt.
Auch Entwicklungen wie Klimawandel, Flucht und Migration sowie wachsende ökonomische Ungleichheit sind Katalysatoren für Krisen und Konflikte. Was bedeutet das für die Frage nach Rechtfertigung und Nutzen militärischer Interventionen?
Wir beobachten ja eine größer werdende Skepsis gegenüber Intervention überhaupt – und militärischer erst recht. Afghanistan hat gezeigt, dass vorrangig militärische Interventionen längerfristig zum Scheitern verurteilt sind. Insofern kann es bei Fragen wie Klimawandel, Migration oder Flucht nur darum gehen, ganz konzentriert an den Ursachen zu arbeiten. Dafür sind internationale Vereinbarungen nötig – und auch, dass man sich daran hält. Mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen haben wir ja eigentlich eine sehr gute Grundlage, mit der es sich weiterarbeiten lässt. Und dazu gehören natürlich auch internationale Vereinbarungen zum Klimaschutz, zur Migration und ähnlichen Fragen.
Im Sinne der Friedensdenkschrift der EKD von 2007 haben Sie sich immer wieder sehr deutlich an Gesellschaft und Politik gewandt mit der Forderung, den Vorrang für Prävention und zivile Konfliktbearbeitung zu stärken. Welche drei wichtigsten Aufgaben möchten Sie der neuen Bundesregierung ins Aufgabenheft schreiben? Was muss sie friedenspolitisch anpacken?
In der Tat ist jetzt eine kritische, unabhängige, klare und offene Evaluation des Afghanistan-Einsatzes nötig. Und zwar wirklich eine unabhängige Evaluation und nicht nur eine ministerielle oder interministerielle. Daran muss die Zivilgesellschaft beteiligt sein – wir bringen ja auch als Zivilgesellschaft viel Erfahrung aus der Arbeit in Afghanistan ein. Und übrigens müssen auch Afghaninnen und Afghanen beteiligt werden.
Das Zweite ist eine ehrliche Debatte über das, was jetzt immer unter dem Begriff „neue Verantwortung für Europa“ oder auch unter dem Schlagwort „mehr Unabhängigkeit von den USA“ diskutiert wird. Das heißt für mich keineswegs automatisch mehr militärische Unabhängigkeit. Hier sollte man sich nicht wieder in die Falle locken lassen, nur militärisch zu denken, sondern nachdenken, was „politische Verantwortung übernehmen“ sonst noch alles heißen kann.
Drittens: Wir haben in Deutschland gute Grundlagen für den Ausbau von Prävention und ziviler Konfliktbearbeitung. Doch im Moment wächst zwar der Verteidigungshaushalt immer weiter – aber eben nicht im gleichen Maße der Haushalt für das, was Prävention und zivile Konfliktbearbeitung beinhaltet. Von einem Vorrang für diese Ansätze kann schon gar keine Rede sein. Prävention und zivile Konfliktbearbeitung auch finanziell zu stärken, ist auf jeden Fall eine konkrete Forderung an die neue Bundesregierung.
Die EKD hat mit Ihrer Friedenssynode 2019 ein Signal gegeben, sich als „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“ zu verstehen und ihr Engagement dafür nach innen und außen zu verstärken. Wenn Sie jetzt als Friedensbeauftragter ausscheiden, wo sehen sie noch Defizite und was muss intensiviert werden?
Ich habe mich immer bemüht, sehr unterschiedliche Strömungen in der Friedensarbeit der evangelischen Kirche zusammenzuhalten. Da gibt es ja radikale Pazifistinnen und Pazifisten, aber auch diejenigen, die sagen, in gewissem Rahmen können militärische Einsätze durchaus dem Frieden dienen, bis hin zur Militärseelsorge. Diese unterschiedlichen Strömungen miteinander ins Gespräch zu bringen, ist immer wieder nötig. Das ist mir vielleicht nicht in dem Maße gelungen, wie es gut wäre.
Gedanken mache ich mir auch darüber, wie wir junge Menschen wieder in das Engagement für die Friedensarbeit bekommen. Junge Menschen engagieren sich ja sehr stark auf den verschiedensten Feldern – ein Beispiel ist der Klimaschutz mit der Fridays for Future-Bewegung. Mir scheint manchmal, dass das Friedensthema so komplex ist, dass man dafür vielleicht nicht so einfach junge Menschen gewinnt. Das wäre aber wichtig, damit Friedensarbeit auch in den Gemeinden immer wieder jung und frisch ist.
Und ich wünsche mir sehr, dass auch die offenen friedensethischen Fragen weiterbearbeitet werden – ob das der militärische Einsatz von Drohnen ist, ob das Cyber-Kriegführung ist oder ob das Fragen nach dem Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden sind. Das sind auf jeden Fall Themen, die auch weiterhin friedensethisch bedacht werden müssen.
Das Amt des EKD-Friedensbeauftragten wurde 2008 geschaffen, um die inhaltlichen Impulse der im Jahr zuvor veröffentlichten EKD-Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“ zu koordinieren und zu verstärken. Renke Brahms übte das Amt seit dem 1. Oktober 2008 aus. Seine Amtszeit geht im November zusammen mit der aktuellen EKD-Ratsperiode zu Ende.
Erschienen am 14.10.2021
Aktualisiert am 23.10.2021