Antimuslimischer Rassismus in der Kirche
Neue Studie untersucht Einstellungen von Jugendlichen
„Vorbehalte gegen Muslim*innen und ihre Religion werden als solche häufig gar nicht mehr erkannt, weil sie über die Zeit für Tatsachen gehalten werden“, meint Yasemin El-Menouar, Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung. Bei der Fachtagung „Warum wir eine rassismuskritische Perspektive brauchen“ am 24. März betonte sie, dass abwertende und menschenfeindliche Einstellungen nicht allein denjenigen schadeten, die unmittelbar betroffen seien, „sondern sie betreffen uns als ganze Gesellschaft“, weil sie „langfristig die demokratische Kultur aushöhlen“. Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage, wie kirchliche Räume rassismuskritisch gestaltet werden können.
Multiplikator*innen der Kinder- und Jugendarbeit diskutierten mit Vertreter*innen aus Kirche und muslimischer Zivilgesellschaft kontrovers darüber, welche Haltungen und Strukturen sich verändern müssen, um Islam- und Muslim*innenfeindlichkeit sowie anderen Formen von Rassismus im kirchlichen Kontext entgegenzutreten. Ausgangspunkt der Tagung war eine bislang unveröffentlichte Studie zu islamfeindlichen Einstellungen unter jungen kirchlich gebundenen Menschen, die die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) als Partnerin im Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit zusammen mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut (SI) der EKD durchgeführt hat.
„Mit dieser Studie haben wir Neuland betreten“, erklärte Petra-Angela Ahrens vom SI, „erstmals wurde bei einer Umfrage zu antimuslimischen Einstellungen das Religionsverständnis der Befragten berücksichtigt“. Gemeinsam mit der Sozialwissenschaftlerin Olga Janzen von der aej hat Petra-Angela Ahrens in dieser Studie neben einer repräsentativen Stichprobe eine gesonderte Auswertung unter jungen Menschen aller Mitgliedsverbände der Evangelischen Jugend vorgenommen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zu den Einstellungen kirchlich gebundener junger Menschen zwischen 14 und 29 Jahren zu Islam und Muslim*innen wurden auf der Tagung erstmals öffentlich präsentiert und diskutiert.
Ein zentrales Ergebnis der Daten ist, dass die aej-Stichprobe im Vergleich zur repräsentativen, gesamtgesellschaftlichen Stichprobe zwar insgesamt geringere Ausprägungen von islamfeindlichen Einstellungen aufweist, jedoch auch 20 Prozent der befragten evangelischen jungen Menschen islamfeindliche Aussagen unterstützten. Die insgesamt etwas geringeren Zustimmungswerte in Bezug auf antimuslimische Vorurteile ließen sich jedoch nicht auf die religiöse Bindung der Befragten zurückführen. Vielmehr kommen Janzen und Ahrens zu dem Schluss, dass diese maßgeblich durch soziodemografische Faktoren zu erklären sind: Die Befragten der aej waren – im Vergleich zur Jugend in der Gesamtbevölkerung – zu größerem Teil weiblich, jünger, mit höherem Bildungshintergrund, politisch eher links positioniert und wiesen eine relativ hohe Zustimmung zum demokratischen System auf. Menschen mit diesen Merkmalen, so die Sozialwissenschaftlerinnen, seien generell weniger islamfeindlich eingestellt.
Daneben zeigt die Studie allerdings eine deutliche Korrelation zwischen Religiosität und antimuslimischen Vorurteilen: Je stärker die Befragten sich selbst als religiös beschrieben und je deutlicher sie ein exklusives Religionsverständnis vertraten, das anderen Religionen jeden Wahrheitsgehalt abspricht, desto häufiger stimmten sie islamfeindlichen Aussagen zu.
Aej-Generalsekretär Michael Peters reagierte auf die Studienergebnisse, indem er der Evangelischen Jugend die gesellschaftliche Verantwortung zur rassismuskritischen Selbstreflexion zuwies: „Wir bekommen einen Spiegel vorgehalten, dass wir uns nicht raushalten können aus gesellschaftlichen Diskussionen um Rassismus.“ Erste Schritte zur Einübung einer rassismuskritischen Perspektive in der Evangelischen Jugend sieht er primär in der Weiterbildung hauptamtlicher Mitarbeiter*innen; auch ehrenamtliche Gruppenleiter*innen und Vertreter*innen jugendpolitischer Gremien seien zu schulen. Insgesamt müsse sich im Verband die Haltung etablieren, dass Rassismus nicht unwidersprochen bleiben dürfe. Petra-Angela Ahrens betonte, dass die rassismuskritische Bildung „in der Aus- und Fortbildung aller Mitarbeitenden verankert werden müsse, wenn die kirchlichen Räume künftig diskriminierungsfrei gestaltet werden sollen.“
Auf dem Abschlusspodium brachte Moderatorin Nathaly Kurtz kirchliche und muslimische Stimmen miteinander ins Gespräch. Dennis Sadik Kirschbaum vom Bündnis muslimischer Jugendarbeit, Hansjörg Kopp, der Vorstandsvorsitzende der aej, Lý-Elisabeth Dang, Theologin und Mitglied der EKBO Antira-Gruppe und Dr. Eske Wollrad, Theologin und Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer, diskutierten über Ansätze zur Etablierung rassismuskritischer Haltungen und Strukturen in kirchlichen Kontexten. Dabei wurden die unterschiedlichen Perspektiven auf das Problem deutlich: Während Lý-Elisabeth Dang den Wunsch zum Ausdruck brachte, sich als christliche PoC „in kirchlichen Räumen wohler und gesamtgesellschaftlich überhaupt sicher fühlen zu können“, stellte Hansjörg Kopp fest, dass sich die Evangelische Jugend „aktuell noch im Stadium von Anerkennen, Lernen, Sprache einüben“ befinde. Er frage sich, wie der Verband „von da zu einer echten rassismuskritischen Haltung“ gelangen könne.
Eske Wollrad erklärte, dass die Selbstwahrnehmung christlicher Akteur*innen eine zentrale Herausforderung darstelle beim Versuch, eine rassismuskritische Perspektive einzunehmen: „Wir sind die Guten. Und wir helfen gern.“ Diese in kirchlichen Strukturen verbreitete Haltung sei aus rassismuskritischer Perspektive problematisch, weil sie den Blick auf eigene rassistische Anteile versperre. Außerdem suggeriere eine solche Haltung, dass bei Begegnungen mit Muslim*innen und anderen Black, Indigenous and People of Color (BIPoC) die Dominanz und Deutungshoheit stets auf Seiten der kirchlichen Akteur*innen liege. Auch Dennis Sadik Kirschbaum stellte mit Blick auf den christlich-muslimischen Dialog „problematische Machtgefüge“ fest. Er appellierte an die Teilnehmer*innen der Fachtagung, „Rassismus aktiv zu verlernen und dies als lebenslange Aufgabe zu verstehen.“
Kontrovers diskutiert wurde auch über die Frage, welche Bedeutung die Auseinandersetzung mit kirchlicher Kolonial- und Missionsgeschichte für die heutige Arbeit in kirchlichen Räumen hat. Die Podiumsgäste stimmten weitgehend überein, dass eine rassismuskritische Haltung und entsprechende Strukturen nur erarbeitet werden könnten, wenn sich alle Beteiligten selbstkritisch mit der kirchlichen Vergangenheit auseinandersetzten. Hansjörg Kopp dagegen sah „den Schlüssel nicht in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern in unserem heutigen Umgang mit anderen.“
Insgesamt machte die Fachtagung, die die Evangelische Akademie in Kooperation mit der aej organisiert hatte, deutlich, dass die Beschäftigung mit der Verstrickung in strukturellen Rassismus und mit alltäglichen Diskriminierungen im kirchlichen Kontext noch am Anfang steht. Es gibt weiterhin viele offene Fragen, die von Vertreter*innen unterschiedlicher Organisationsebenen der kirchlichen und Jugendverbands-Strukturen beantwortet werden müssen. Erfreulich ist jedoch, dass sich einige Akteur*innen dem Thema der rassismuskritischen Öffnung bereits angenommen haben und die Auseinandersetzung damit als wichtiges Lernfeld erkannt wurde.
Onna Buchholt, aej
Dr. Sarah Albrecht, Evangelische Akademie zu Berlin
Erschienen am 30.03.2022
Aktualisiert am 24.05.2022