„Die Angst vor einer Triage war groß“
Ein leitender Oberarzt berichtet über Corona im Klinikalltag
Omikron erreicht die Krankenhäuser. Wie Kliniken mit den zusätzlichen Belastungen umgehen, diskutieren wir im Workshop am 26. Februar. Mit dem Intensivmediziner Dr. Christoph Büttner, leitender Oberarzt am St. Joseph Krankenhaus, haben wir vorab über seine Erfahrungen aus der Praxis gesprochen.
Viele Kliniken in Deutschland befinden sich seit Beginn der Pandemie in einem Ausnahmezustand. Welche Probleme sind durch Corona sichtbarer geworden?
Sichtbarer geworden ist auf jeden Fall die Belastung der Intensivstationen. Dort wurde auch vor Corona schon immer an der oberen Belastungsgrenze gearbeitet. Das hat allerdings kaum interessiert; im Gegenteil wurde eher der Abbau von Kapazitäten in der Intensivmedizin betrieben. Die Diskussion in Deutschland ging – auch in den Medien – darum, dass wir zu viele Krankenhäuser hätten.
Als dann die erste Welle kam, stellte sich sofort die Frage: Wie schaffen wir neue Kapazitäten für Intensivpatientinnen und -patienten? Die Angst, in eine Situation zu geraten, in der eine Triage notwendig würde, war sehr groß.
Wie gehen Sie als leitender Oberarzt im St. Joseph Krankenhaus mit dem Thema Impfpflicht um?
Die Diskussion über dieses Thema ist für uns im Gesundheitswesen nicht neu. Auch Mitarbeitende, die sich nicht gegen Grippe impfen lassen, sind für multimorbide Patientinnen und Patienten eine lebensbedrohliche Gefahr. Letztendlich kommt es immer auf das Team an, das auf einer Station zusammenarbeitet.
Unser Team auf der Intensivstation ist multidisziplinär organisiert, Corona hat den Zusammenhalt untereinander weiter gestärkt. Aus meiner Erfahrung hängt die Impfrate in einem Team – neben persönlichen Überzeugungen des Einzelnen – auch stark von der Haltung des ganzen Teams ab. Wir sind alle geimpft.
Die Möglichkeiten für Besuche sind in Kliniken derzeit erneut sehr reduziert. Was bedeutet das konkret für kirchliche Kliniken?
Die Einschränkungen der Besuchsmöglichkeiten sind nach wie vor ein großes Thema, das mit viel Leid behaftet ist – für Patientinnen und Patienten wie für Angehörige. Wir im St. Joseph Krankenhaus haben uns vor der Pandemie immer um maximale Offenheit für Besuche bemüht, bis hin zum Rooming-In für Angehörige von deliranten Patienten. Als die erste Corona-Welle begann, haben wir versucht, die Einschränkungen dadurch aufzufangen, dass wir den Besuchenden vor der Eingangstür Tablets zur Verfügung gestellt haben; sie konnten mit ihren Angehörigen kommunizieren.
Außerdem haben wir in einzelnen Fällen Möglichkeiten gefunden, das Besuchsverbot insbesondere für Sterbende zu umgehen. Zum Beispiel haben wir einen Besucher, der infiziert war, draußen vor der Klinik in Schutzkleidung gesteckt und so durch das Haus bis in das Zimmer seines sterbenden Angehörigen geschleust.
Insgesamt haben die Einschränkungen beim Besuchsverbot auch zu einer enormen Belastung unserer Mitarbeitenden im ärztlichen und im Pflegebereich geführt. Sie mussten und müssen einspringen, wo Sterbende nicht von Angehörigen begleitet werden können. Und sie müssen sich immer wieder sehr gut untereinander abstimmen und einen verlässlichen Informationsfluss zu Angehörigen gewährleisten. Das bringt insbesondere die in der Pflege tätigen Mitarbeitenden an die Grenze des Möglichen.
Was hat die Pandemie uns im Blick auf die Zukunft der Krankenhäuser lernen lassen?
Wir sollten uns vorbereiten auf die nächste Pandemie. Die wird es sicher geben. Aber wir wissen, dass wir jetzt viele notwendige Strukturen etabliert haben und uns in einem Gesundheitssystem agieren, das grundsätzlich funktioniert. Deswegen können wir in Deutschland der nächsten Pandemie besser vorbereitet entgegensehen.
Dr. Christoph Büttner ist leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin im St. Joseph Krankenhaus Berlin-Tempelhof
Erschienen am 09.02.2022
Aktualisiert am 09.03.2022