Femizide benennen, Schutzkonzepte verbessern
Interreligiöses Frauennetzwerk diskutierte über Frauenmorde
„Ehrenmord, Familientragödie oder Beziehungsdrama? Diese Begriffe lenken vom Kern des Problems ab, nämlich von den dahinterstehenden patriarchalen Vorstellungen und Strukturen“, sagte Hannah Beeck im Blick auf öffentliche Debatten und die Berichterstattung über Frauenmorde in Deutschland. Am 17. Februar diskutierte die Sozialwissenschaftlerin mit rund 160 Teilnehmerinnen des Online-Abendforums „Frauenmord beim Namen nennen. Ein intersektionaler Blick auf Femizide“ darüber, was getan werden muss, um Frauen ausreichend vor häuslicher und anderen Formen von Gewalt zu schützen.
Die Juristin Asha Hedayati wies dabei auf eine mediales Zerrbild hin, das dazu führe, dass Femizide mit der zugeschriebenen Kultur, Herkunft oder Religion der Täter erklärt würden: „Mediale Aufmerksamkeit bekommen besonders brutale Femizide, begangen durch Täter nichtdeutscher Herkunft.“ Faktisch ergebe sich hingegen ein anderes Bild, so Hedayati, die als Anwältin für Familienrecht schwerpunktmäßig von Gewalt betroffene Frauen vertritt: „Gewalt gegen Frauen tritt in allen gesellschaftlichen und sozialen Milieus auf. Aber manche Gruppen haben besonders schlechten Zugang zu Schutz, nämlich geflüchtete Frauen, Frauen mit Behinderung und Transfrauen.“
„Jede dritte Frau in Deutschland erfährt mindestens einmal in ihrem Leben sexualisierte oder andere physische Gewalt. Jeden zweiten bis dritten Tag wird hierzulande eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet“, zitierte die Juristin eine besorgniserregende Schätzung zur Anzahl der Gewaltdelikte. Die tatsächlichen Zahlen könnten wesentlich höher sein, ergänzte Hannah Beeck: Man dürfe Femizide nicht auf partnerschaftliche Gewalt reduzieren, sondern müsse auch andere Formen einbeziehen, wie etwa rassistisch motivierte Frauenmorde. Zudem würden Femizide von staatlicher Seite bislang nicht als solche erfasst, kritisierte die Sozialwissenschaftlerin. Mit ihrem ehrenamtlich geleiteten Datenbankprojekt feminizidmap.org will Beeck daher nicht nur Zahlen erheben: „Das Problem muss intersektional erfasst werden: In welchen Kontexten geschehen Femizide, welche Frauen sind besonders betroffen, welche Warnsignale lassen sich erkennen?“
Die beiden Referentinnen schlossen mit klaren Forderungen an politische Entscheidungsträger*innen in Deutschland: Zunächst müsse die Istanbul-Konvention umgesetzt und eine ganzheitliche Gewaltschutzstrategie realisiert werden. Dies beinhalte den Ausbau von Beratungsangeboten und Frauenhäusern, insbesondere von barrierefreien und mehrsprachigen Einrichtungen, ebenso wie eine effektivere Täterarbeit. Zudem müssten gewaltfördernde Männlichkeitsbilder bereits im Kindesalter hinterfragt werden, im Rahmen einer antisexistischen und antipatriarchalen Bildung.
Asha Hedayati ging noch weiter: „Letztendlich kommen wir nicht umhin, das ganze System in Frage zu stellen. Wir müssen uns fragen, warum es für Frauen so schwer ist, sich von gewalttätigen Partnern zu trennen.“ Die Antwort findet sie vor allem in der wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler Frauen: „19 Prozent der verheirateten Frauen in Deutschland haben kein eigenes Einkommen, 63 Prozent von ihnen weniger als 1.000 Euro netto“. Somit sei eine Trennung für viele eine „Entscheidung zwischen Gewalt oder Armut“.
Bereits zum vierten Mal wurde das Abendforum in der Reihe „Frauen reden zu Tisch“ von einem interreligiösen Frauennetzwerk organisiert. Neben der Evangelischen Akademie gehören diesem Netzwerk das Amt für kirchliche Dienste der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, das Aktionsbündnis muslimischer Frauen, das jüdische Frauennetzwerk Bet Debora und das Deutsche Muslimische Zentrum an.
Erschienen am 28.02.2022
Aktualisiert am 21.03.2022