Judenfeindlichen Bildern aktiv etwas entgegensetzen
Staffa zum „Kirchensau“-Urteil des BGH
Der Bundesgerichtshof hat eine Klage auf die Entfernung eines antijüdischen Schmähreliefs vpm der Fassade der Stadtkirche zu Wittenberg abgewiesen. Damit bestätigte er in dem jahrelangen Rechtsstreit die Entscheidungen der Vorsinstanzen.
Zu dem BGH-Urteil erklärt unser Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche, Christian Staffa, der zugleich Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den Kampf gegen Antisemitismus ist:
„Auch nach diesem Urteil bleibt aus evangelischer Sicht klar: Wir müssen uns intensiv an den judenfeindlichen Bildern in unserer Tradition abarbeiten und ihnen aktiv etwas entgegensetzen. Das können zum Beispiel antisemitismuskritische Bibelauslegung sein wie an der Evangelischen Akademie zu Berlin oder gemeinsame Foren mit Jüdinnen und Juden wie beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Es geht um Aufklärung im besten selbstkritischen Sinne in Theologie, Religionspädagogik und Kirchenkunst.
Theologisch hat die Synode der EKD den Weg gewiesen: Als evangelische Kirche müssen wir bis an die Grundfesten der Theologie der Reformation gehen, um dort die antijüdischen Inhalte aufzuspüren und zu verändern.
Das BGH-Urteil zeigt einmal mehr, dass die Auseinandersetzung um solche Schmähplastiken nicht juristisch zu lösen ist. Die meisten Gemeinden, an deren Kirchengebäuden es solche Schmähskulpturen gibt, setzen sich aktiv mit ihnen auseinander und distanzieren sich deutlich von ihnen. In Wittenberg geschieht dies mit einer eindrücklichen Stätte der Mahnung.
Doch dürfen wir es dabei nicht belassen. Es geht um intensivere Aufklärung und aus meiner Sicht auch um visuell andere Lösungen. Das können zum Beispiel Abdeckungen oder Verhüllungen sein, die judenfeindliche Darstellungen nicht kaschieren, sondern dieses furchtbare Erbe unserer protestantischen Tradition zum Thema machen. Ebenso müssen wir auch andere Kunstwerke in den Blick nehmen als nur Skulpturen an Kirchenfassaden. Zum Beispiel stellt das Wittenberger Cranach-Altarbild mit seiner Darstellung des Abendmahls und der darin verzerrten Judasfigur eine große Herausforderung dar. Zugleich bietet es eine Chance, antisemitische Motive aufzudecken, die tief in der christlichen Tradition verwurzelt sind und die noch heute bis in den säkularen Antisemitismus hinein wirksam sind.
Wichtig für die weitere Auseinandersetzung mit solchen Schmähskulpturen ist der Hinweis aus dem BGH-Urteil, dass unkommentierte judenfeindliche Darstellungen durchaus justiziabel sein könnten. Das sollte der Denkmalschutz bedenken, wenn er auf einer Sanierung auch judenfeindlicher Darstellungen besteht: Die dürften nach diesem Urteil zumindest ohne Markierung und Erläuterung des diffamierenden Bedeutungsgehalts nicht mehr möglich sein. “
„Das Schandmal in ein Mahnmal umgewandelt“
Der Kläger hatte von der evangelischen Kirchengemeinde als Eigentümerin verlangt, das als „Judensau“ bekannte mittelalterliche Relief zu entfernen oder zumindest als Beleidigung im strafrechtlichen Sinne einzustufen. Die beklagte Kirchengemeinde wollte das Relief dagegen als Teil einer Gedenk- und Erinnerungskultur erhalten.
Dazu urteilte der BGH nun, das Relief als solches weise zwar „einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamierenden Aussagegehalt auf und brachte Judenfeindlichkeit und Hass zum Ausdruck“. Spätestens seit einer Sanierung von 1983 seien das Relief und die damit verbundene Aussage auch der Kirchengemeinde zuzurechnen. Die Gemeinde habe die Rechtsverletzung aber beseitigt, indem sie 1988 eine Brone-Bodenplatte mit distanzierender Inschrift und einer Säule mit der Überschrift „Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg“ angebracht habe.
Damit habe sie das Schandmal „in ein Mahnmal zum Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von Juden bis hin zur Shoah umgewandelt und sich von der diffamierenden und judenfeindlichen Aussage – wie sie im Relief bei isolierter Betrachtung zum Ausdruck kommt – distanziert“, heißt es in dem Urteil weiter.
Akademie-Tagungen und Dokumentationen zum Thema
Zum Umgang mit antisemitischen Bildnissen an und in christlichen Kirchen hat die Evangelische Akademie zu Berlin mehrere Tagungen veranstaltet. Die Beiträge der jüngsten Tagung „Bilderverbot?! Zum Umgang mit antisemitischen Bildern an und in Kirchen“ von November 2021 erscheinen voraussichtlich Anfang Juli als epd-Dokumentation. Zu einer früheren Tagung erschien in derselben Reihe 2020 die Dokumentation „In Stein gemeißelt“, die auf unserer Website als Download abrufbar ist.
Um den Einfluss christlich geprägter Tiefenstrukturen auf den modernen Antisemitismus geht es vom 27. bis 29. Juni bei der Fachtagung „Christliche Signatur im zeitgenössischen Antisemitismus“, die am 29. Juni mit einer Podiumsdiskussion in der Französischen Friedrichstadtkirche zu Ende geht. Die Tagung bildet den Auftakt des Verbundprojekts „Christliche Signaturen des zeitgenössischen Antisemitismus“, das die hergebrachten kategorialen Trennungen in der Antisemitismusforschung auf den Prüfstand stellt und stattdessen die fortwährende Gemengelage von „modernen“ (rassistisch hergeleiteten) und „traditionellen“ (christlich-theologisch begründeten) antijüdischen Vorurteilen in den Fokus nimmt.
Erschienen am 14.06.2022
Aktualisiert am 16.11.2022