Niemanden zurücklassen
Ein internationaler Workshop und ein Manifest zur sozial-ökologischen Transformation
Wie könnte eine sozial und ökologisch gerechte Umgestaltung unserer Gesellschaft aussehen? Drei Mitglieder von Oikosnet Europe, dem europäischen Netzwerk christlicher Akademien, haben junge Bürger*innen Europas eingeladen, eine Vision dafür zu entwickeln. Die Gruppe von 21 Menschen aus der Tschechischen Republik, Deutschland, Italien und der Slowakei entwarf in Agape/Italien ein „Manifest“ für einen Wandel, bei dem niemand zurückgelassen wird. Ein Bericht von Studienleiterin Hannah Schilling und Studienleiter Heinz-Joachim Lohmann.
Das ökumenische Zentrum Agape in dem kleinen Dorf Pralí (Turin) war der perfekte Ort, um gemeinsam Ideen zu entwickeln. Inmitten der Berge des Piemont konnten wir hier den Kopf frei bekommen und wurden ermutigt, über den Tellerrand hinauszuschauen, weit weg von unserem Alltag. Organisiert wurde der Workshop als Kooperation der Evangelischen Akademie zu Berlin mit zwei weiteren Oikosnet-Mitgliedern, dem Centro Ecumenico Agape und der Ekumenická akademie in Prag.
Ausgehend von einer Traumreise, die uns einlud, auf unser Leben zurückzuschauen und zu fragen, wie wir gerne gelebt hätten, arbeiteten wir unsere Standpunkte zu Werten und Zielen heraus und diskutierten darüber, was für uns ein gutes Leben ausmacht. Daraus entwickelten wir die Themen, die uns in der sozial-ökologischen Transformation am wichtigsten sind: Wir beschäftigten uns mit demokratischen Werten, Gleichberechtigung, Kapitalismus, Lebensmittelproduktion, Mobilität und unserer eigenen Rolle in der Transformation.
Nicht alle haben gleich viel Macht und Stimme
Um uns mit sozialen Ungleichheiten in der sozial-ökologischen Transformation zu beschäftigten, diskutierten wir, wie sich Privilegien auf gesellschaftliche Dynamiken auswirken. Wir sind dieser Frage in interaktiven Spielen nachgegangen. Dabei spürten wir am eigenen Leib: Unsere Gesellschaftsstruktur verleiht einigen Akteur*innen mehr Macht und Stimme als anderen: Nicht nur unsere Geschlechtszugehörigkeit, sondern auch Klassenposition und zugeschriebene Ethnizität machen Privilegien aus. Eine arme, schwarze Frau hat deutlich weniger Chancen und Möglichkeiten, für ihre Rechte einzutreten, als ein weißer Mann aus der Mittelschicht. Was bedeutet es vor diesem Hintergrund für uns als Gruppe weißer europäischer Bürger*innen, die sozial-ökologische Transformation gerecht zu gestalten? Wie können wir eigene Privilegien erkennen, mit den damit verbundenen Machtpositionen verantwortungsvoll umgehen und solidarisch sein?
Unser Manifest
Diese Fragen haben uns dazu veranlasst, Antworten zu formulieren: In unserem Manifest (PDF-Dokument, 875 KB) betonen wir die Notwendigkeit, die Verantwortung für den notwendigen gesellschaftlichen Wandel von der individuellen auf die strukturelle Ebene von Politik und Wirtschaft zu verlagern. Wir sehen die Dringlichkeit, unsere Ökonomien anders zu organisieren, damit es menschenwürdige Arbeit für alle geben kann. Wir streben eine Wirtschaft ohne Wachstum an. Aber das ist nicht alles: Wir brauchen auch mehr Möglichkeiten zur aktiven Beteiligung an unseren Demokratien und fordern, dass Gesetze und Bürgerrechte immer Anwendung finden, erfüllt und respektiert werden. Mit mehr Bildungsprogrammen, die es jeder und jedem von uns ermöglichen, die eigenen Rechte kennenzulernen und eigene Visionen von der Gesellschaft zu entwickeln, könnten wir alle Menschen dazu befähigen, Teil des Wandels zu sein.
Von hoch zwischen den Bergen nach ... Europa
Seit fast 70 Jahren empfängt Agape Menschen mit unterschiedlichen religiösen, kulturellen und politischen Hintergründen und aus verschiedenen Generationen zum Erfahrungsaustausch. Das Zentrum lebt von den unentgeltlichen Diensten einer Gruppe von Freiwilligen. Viele Teilnehmer*innen aus unserer Gruppe schätzten den guten „Gruppengeist“ und das Gemeinschaftsgefühl dort.
Das Treffen in Agape und das Manifest waren für uns ein Anfang, um unsere Überzeugungen und Perspektiven als Bürger*innen Europas zu entwickeln. Wir haben gemeinsam eine Vision formuliert, als Gruppe mit unterschiedlichen Hintergründen und Erfahrungen, als Menschen, die sich im Alltag kaum begegnen, die aber alle Bürger*innen Europas sind. Das Treffen war ein vielversprechender Schritt, um weitere Debatten anzustoßen.
Falls Sie Interesse an Austausch dazu haben, zögern Sie nicht, sich mit uns in Verbindung zu setzen.
Erschienen am 27.07.2022
Aktualisiert am 31.08.2022