Die Kosten der Transformation
Fachgespräch zu EU-Schuldenpolitik und Nachhaltigkeit
Während Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu eskalieren begann, hatte die Europäische Zentralbank (EZB) Anfang März wichtige Entscheidungen über ihre zukünftige Schuldenpolitik zu treffen. Eine Woche vor der mit Spannung erwarteten EZB-Ratssitzung diskutierten wir darüber in unserer Reihe „Soziale Marktwirtschaft unter Transformationsdruck“ mit der taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann sowie dem Autor und Finanzblogger Daniel Stelter.
Es sei nicht übertrieben zu behaupten, dass die EZB den „heikelsten Moment seit ihrer Gründung“ vor sich habe, wurde ein führender Ökonom vor der Ratssitzung am 10. März zitiert. An diesem Tag musste die Zentralbank erklären, wie es mit der Geldpolitik im Euroraum weitergehen und ob die Europäische Union dauerhaft eigene Schulden aufnahmen soll.
Staatsschulden in der EU von 200 oder 150 Prozent des BIP lassen sich mit einer hohen Inflation wunderbar „weginflationieren“; man spricht von der Schuldenschmelze. Doch man darf die Verteilungswirkungen einer solchen Politik nicht aus dem Blick verlieren: Der Staat ist ein großer Gewinner der steigenden Inflation, die Reichen sind es ebenfalls.
Angesichts steigender Schulden zur Bekämpfung der Pandemie, für Klimaschutzmaßnahmen und für das nun angekündigte Sondervermögen für die Bundeswehr ist die Schuldenschmelze durch hohe Inflation offenbar in der Politik allseits willkommen. Finden wir uns deshalb, was Staatsverschuldung und Inflation angeht, bald in einer Welt wie vor 50 Jahren wieder? Das Narrativ, die Inflation basiere nur auf der Verteuerung von Energie, scheint obsolet zu sein. Sollten wir in dieser Situation einen Blick in das Labor der 1970er Jahre werfen?
In den EU-Verträgen ist fixiert, dass die Institutionen der Union keine eigenen Schulden aufnehmen dürfen. Diese Verträge in Richtung einer Vergemeinschaftung der Schulden der Mitglieder zu ändern, würde voraussetzen, dass die Fiskalpolitik in der Union den gleichen Zielen und Standards folgt. Der Wille zur Kooperation in Europa gewinnt derzeit eine neue Qualität. Die Sanktionen gegen Russland und die wirtschaftlichen Folgen für die Bürgerinnen und Bürger der Union werden nach den gerade überstandenen Krisen zu einer weiteren Herausforderung an gemeinschaftliches Handeln. Ist die gemeinschaftliche Verschuldung damit alternativlos geworden? Welche monetären Folgen sind zu erwarten? Wie kann man Lasten gerecht verteilen und wie sollte die EZB handeln? Diese Fragen bestimmten die Diskussion mit unseren beiden Gästen.
Erschienen am 21.03.2022
Aktualisiert am 21.03.2022