Realistische Hoffnung

Realistische Hoffnung

Bildungsarbeit gegen christlichen Antisemitismus | Blog | Karoline Ritter

© Jonas Klinke / EAzB

In der Bildungsarbeit gegen Antisemitismus im Christentum dient Hoffnung nicht dem Weichzeichnen und Aufschieben. Ganz im Gegenteil: Die Auseinandersetzung mit antijüdischem Denken und der Einsatz für eine andere christliche Theologie benennen schonungslos die Realität einer auf Identität und Überlegenheit ausgerichteten Religion.

Die Rede von Hoffnung lässt im christlichen Kontext und besonders in der Weihnachtszeit eine Vorahnung entstehen. Nicht die Vorahnung von „dem, der da kommt“ – diesem Friedefürstchen, das im Sternenlicht Bethlehems auf Heu und auf Stroh gebettet zwischen Esel und Ochs liegt und Glocken süßer nie klingen lässt. Nein, wenn in christlichen Zusammenhängen zur Weihnachtszeit von Hoffnung gesprochen wird, verbindet sich dies oft mit kitschigen Bildern: Wir hören süßliche Reden von Funken, vom Licht in der Finsternis, von einer dem Dunkeln widerstreitenden Hoffnung, die zum guten christlichen Tugendrepertoire dazugehöre. Hoffen wird als christliche Eigenart etikettiert, die man sich auch in aller Not nicht nehmen lassen dürfe.

Besonders zur Weihnachtszeit – die ja das Weltgeschehen nicht weniger hoffnungslos macht, nur weil Dezember geworden ist – erscheint die Rede von Hoffnung oft als ein automatisierter Impuls, der mit der Realität nichts zu tun hat und dennoch zum Fluchtpunkt des Denkens gemacht wird. Nach dem unreflektierten Motto: Wo kämen wir hin, wenn die christliche Hoffnung nicht mehr wäre? Hoffen zu können, mutet hier an als Ausweis christlicher Identität; als sei es eine Begabung, die man stolz sein und zur Abgrenzung gegenüber den „Hoffnungslosen“ verwenden könne.

Ich frage mich, ob in den sich überhäufenden Bekenntnissen zur Hoffnungshaltung nicht auch ein triumphalistischer und bedrängender Gestus gegenüber denjenigen liegt, die es vorziehen, einer Ausweglosigkeit ohne Beschönigung ins Auge zu sehen. Als sei die Hoffnung eine christliche Fähigkeit, die man anderen Menschen noch beibringen müsse. Und ich frage mich: Fordert die Weihnachtszeit nicht eher eine Askese, also eine Zurückhaltung gegenüber dem eingeübten christlichen Impuls, etwas Gutes sehen zu müssen und die Welt in erlösenden Hoffnungsschimmer zu tauchen? Auch wenn das Christentum zu Weihnachten die Geburt seines Messias feiert, ist eine radikale Wende der Welt zum Besseren ja ganz offenkundig (noch) nicht geschehen.

Doch nicht jede Hoffnungsrede ist auf Beschönigung aus. Und nicht jede Hoffnung bedeutet Abkehr von der Realität oder ihre Vereinfachung. Ja, bestimmt braucht es Hoffnung. Nur bedarf es ihrer nicht aus Gewohnheit, um die Realität schönzufärben oder um sich von den nicht Hoffenden, sich nicht erlöst Glaubenden, abzugrenzen. Die Philosophin Eva von Redecker nennt Hoffnung das „Vertrauen auf eine kontrafaktische Sehnsucht“, das etwas anderes sei als „Zuversicht oder gar Siegesgewissheit“. Zu hoffen sei die Ausrichtung auf die Alternative, die ein „Handeln im Konjunktiv“ leite. (Zitate nach Matthias Hui und Geneva Moser, Hoffnung auf Revolution, in Neue Wege 10/11 [2022], S. 9–12) Ein Handeln also, das sich nicht an der schon existierenden Realität, sondern an einem „Was wäre, wenn“ orientiert und versucht, diesen erhofften Raum auch konkret werden zu lassen. Hoffnung und praktisches Tun, die tatsächliche konkrete Gestaltung der Alternative, gehören zusammen.

Auch in der Bildungsarbeit gegen Antisemitismus im Christentum ist Hoffnung ein Mittel, um die Diskrepanz zwischen Realität und besserer Möglichkeit zu benennen. Hoffnung ist darin keine Weichzeichnerin des Ist-Zustandes. Sie legitimiert auch nicht dazu, auf die Überbrückung der Kluft zwischen diesen beiden Polen durch Andere – und schon gar nicht auf eine metaphysische Kraft – zu warten. Die Auseinandersetzung mit antijüdischem Denken und der Einsatz für eine andere Theologie in christlichen Kontexten sehen der Realität einer auf Identität und Überlegenheit ausgerichteten Religion nur tiefer ins Auge. Sie sind eine Sisyphusarbeit, die nicht von einer Aussicht auf Erfolg lebt, sondern vor allem von der Überzeugung, sich in eine Tradition mit Menschen zu stellen, die diesen Stein schon seit Jahrzehnten den Berg hochrollen – mit großer Leidenschaft und dem Wissen, etwas Sinnvolles zu tun.

Ob dieser Einsatz tatsächlich etwas ändern wird? Antisemitismuskritik bleibt fragmentarisch und zeichenhaft. Sie wird kein Christentum schaffen, in dem darauf verzichtet wird, antijüdisch zu agitieren. Es geht auch nicht um ein Ziel, das die Realität verkennt. Praxisleitend ist vielmehr die Kontinuität einer gemeinschaftlichen Arbeit, die einen Sinn hat im Tun und der alternativen Realität, die sie schafft.

Karoline Ritter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Universität Greifswald und Mitarbeiterin im Projekt „Bildstörungen“ der Evangelischen Akademie zu Berlin. Für die Playlist zum Blog hat sie den Song „Reality“ der Band DYAN ausgewählt.

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