Chancen.Bildung
Zehn Thesen zu einer besseren Verteilung von Bildungschancen
Wie kann das Bildungssystem auf die aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche reagieren? Im Rahmen des Projekts Chancen.Bildung haben fünf Evangelische Akademien eine Debatte zu diesem Thema angestoßen. Daraus sind zehn Thesen hervorgegangen, mit denen das Projektteam skizziert, wie sich die Chancen auf Bildungsteilhabe für junge Menschen in Deutschland verbessern lassen.
Unsere Gesellschaft befindet sich in massiven Transformationsprozessen, die alle Bereiche des Lebens umfassen – Digitalisierung und klimatische Veränderungen voran. So wie wir uns als Gesamtgesellschaft, als Unternehmen, als Individuen die Frage stellen müssen, wie wir uns zu diesen Veränderungen verhalten, so muss auch das Bildungssystem – von Angeboten im frühen Kindesalter bis hin zu Weiterbildungseinrichtungen für junge Erwachsene – auf diese Veränderungen reagieren. Gleichzeitig steckt in Transformationsmomenten und Umbrüchen die Chance, grundlegende Veränderungen anzustoßen. Im Blick auf das deutsche Bildungssystem ist dies auch notwendig. Deutschland zählt bei der Verteilung der Bildungschancen zu den absoluten Nachzüglern im internationalen Vergleich (siehe z.B. PISA-Studie 2018 (PDF-Dokument)). Bildungsarmut und die damit verbundenen mangelnden Teilhabechancen von jungen Menschen werden immer mehr zu einem gesellschaftlichen Problem.
Im Projekt Chancen.Bildung haben die fünf Evangelischen Akademien Bad Boll, Berlin, Frankfurt, Hofgeismar und Sachsen zwei Jahre lang zahlreiche Facetten rund um dieses Thema beleuchtet, reflektiert und diskutiert. Aus den Diskursen und Erfahrungen im Projekt kristallisieren sich für uns als Projektteam folgende zehn Thesen heraus:
- Wenn wir Demokratie als Projekt aller Menschen in unserer Gesellschaft verstehen, muss Bildung als notwendige Voraussetzung für Teilhabe allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein.
- In einem wohlhabenden Land wie Deutschland sind die Voraussetzungen vorhanden und müssen genutzt werden, um Teilhabechancen durch Bildung für alle zu realisieren.
- Grundlegendster Anspruch an das Bildungssystem muss sein, dass alle Menschen Lesen und Schreiben lernen.
- In Anbetracht der Pluralisierung von individuellen Herausforderungen ist es wichtig, dass es neben Lehrkräften mehr pädagogisches und psychologisches Fachpersonal an Schulen, Kitas etc. gibt, die in multiprofessionellen Teams zusammenarbeiten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der steigenden Zahlen psychischer Beeinträchtigungen junger Menschen dringend geboten.
- Die verschiedenen Fachkräfte an Bildungseinrichtungen müssen sowohl die Möglichkeit als auch die Befähigung erhalten, sich intensiver und vielfältiger in ihrem Sozialraum zu vernetzen (insbesondere in Ganztagskontexten).
- Bürokratische Prozesse müssen auf ein Minimum reduziert werden, um die vorhandenen Ressourcen für die Bildungsarbeit einzusetzen. Dies ist auch vor dem Hintergrund des steigenden Fachkräftemangels geboten.
- Lehrpläne und pädagogische Konzepte müssen stärker am Erleben von Kindern und Jugendlichen und an tatsächlichen Herausforderungen ausgerichtet sein. Dazu bedarf es einer grundsätzlichen Überarbeitung von Lehrplänen und Kernkurrikula. Digitalisierung ist hier ein zentrales Stichwort, jedoch bezieht sich das Lernen in Orientierung an der Lebenswelt auch auf viele andere Bereiche, wie beispielsweise Umwelt und Ernährung. Hierbei geht es auch darum, dass Kinder und Jugendliche ihre Selbstwirksamkeit erfahren, indem sie eigene Ideen umsetzen.
- Insbesondere im Kita- und Grundschulalter müssen Bildungsinstitutionen verstärkt die ganzen Familien in den Blick nehmen. Familienbildung und die Arbeit der Kitas und Grundschulen sollten eng verzahnt werden. Es braucht mehr Raum für Beziehungsarbeit in diesem Zusammenhang.
- Mehr Lehrkräfte mit abwechslungsreichen Lebensläufen können dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche vielfältigere Rollenvorbilder erleben und so vielfältigere berufliche Zukunftsperspektiven entwickeln. Dafür sollte die Lehrer*innenausbildung neugestaltet werden. Menschen, die z.B. aus dem Handwerk kommen, könnten gezielt motiviert werden, auch als pädagogische Fachkräfte zu arbeiten.
- Die Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund in Bildungsfragen muss neu diskutiert und im Sinne einer gerechteren Verteilung von Bildungschancen neu strukturiert werden. Nötig sind einerseits besser ausgestattete und langfristige Bundesförderprogramme sowie andererseits die Flexibilität, als Bildungseinrichtung auf lokale Bedingungen einzugehen.
Erschienen am 21.09.2023
Aktualisiert am 29.09.2023