"Frauen werden unsichtbar gemacht"
Ex-Ministerin Alema Alema zur Lage der Frauen in Afghanistan
Rund eineinhalb Jahre nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan treffen sich bei unserer Tagung Verraten und vergessen? Frauen in Afghanistan am 8. März Vertreterinnen von Frauen- und Menschenrechtsgruppen. Hauptziel des Treffens ist es, sich auszutauschen, sich zu vernetzen und mit deutschen Politiker*innen in einen Dialog zu treten. Zu den konkreten Themen der Tagung, zu der wir gemeinsam mit Pro Asyl einladen, gehören die Verfahren zum Familiennachzug nach Deutschland und Fragen des Aufenthaltsrechts für Geflüchtete. Daneben steht über allen Gesprächen die Frage, wie Solidarität mit den Frauen in Afghanistan aus Sicht einer feministischen Außenpolitik gelingen kann und welche Verantwortung Deutschland hierbei hat.
Über die derzeitige Lage der Frauen in Afghanistan haben wir im Vorfeld mit einer der Initiatorinnen der Tagung gesprochen, der Philosophin, Sozialwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin Alema Alema. Von September 2020 bis zum 15. August 2021, als die Taliban die Hauptstadt Kabul einnahmen, war sie stellvertretende afghanische Friedensministerin.
Wie ist die Lage in Afghanistan für Frauen momentan?
Alema Alema: Durch die drakonische Politik der Taliban wurden Millionen Frauen und Mädchen ihres Rechts auf ein würdiges Leben beraubt. Sie wurden aus allen politischen und juristischen Posten gedrängt. Inhaftierungen, Folter, Zwangs- und Kinderehen bestimmen jetzt ihr Leben.
Inwieweit hat sich die Situation seit der Rückkehr der Taliban an die Macht verschlechtert?
Alema: Frauen werden im öffentlichen Leben unsichtbar gemacht. Durch frauenverachtende Dekrete der Taliban werden ihnen fast alle Grundrechte genommen, seien es Zugang zu Bildung, politische Teilhabe, das Recht, einen Beruf auszuüben, zu reisen, Sport zu treiben oder öffentliche Bäder zu besuchen. Nicht einmal einen Park darf eine Frau in Afghanistan heute noch betreten.
Was können wir hier tun, um Frauen in Afghanistan zu helfen?
Alema: Die Weltgemeinschaft darf die De-facto-Regierung der Taliban nicht anerkennen. Die Taliban-Führer dürfen keine Reisefreiheit bekommen, bevor sie nicht alle Menschenrechte anerkannt haben. Der Fluss humanitärer Gelder an Afghanistan muss transparent gemacht werden. Deutschland muss dem Anspruch einer feministischen Außenpolitik Taten folgen lassen: Alle – auch weibliche – Ortskräfte und gefährdeten Personen müssen aufgenommen und der Familiennachzug muss beschleunigt werden.
Reichen deutsche Hilfsmaßnahmen wie das Bundesaufnahmeprogramm aus?
Alema: Die humanitäre Aufnahme für akut gefährdete Personen gemäß dem Aufenthaltsgesetz muss neben einem künftigen Bundesaufnahmeprogramm weiter bestehen bleiben. Ortskräfte und akut gefährdete Personen müssen weiterhin auch außerhalb dieses Programms schnell und unbürokratisch aufgenommen werden können.
Was unternehmen afghanische Frauen in Deutschland, um Veränderungen zu erreichen?
Alema: Afghanische Frauen und Vereine haben angefangen, sich in Deutschland und weltweit zu vernetzen. Zum Beispiel ist mit EU-Unterstützung die Plattform Afghan Women Leaders entstanden. Aktionen sind unter anderem für den Internationalen Frauentag geplant.
Erschienen am 22.02.2023
Aktualisiert am 15.03.2023