Keine Freiheit in der Diaspora
Menschen aus Eritrea werden auch in Europa bedroht
Obwohl die Menschen in Eritrea lange für Freiheit gekämpft haben, ist ihre Befreiung nicht gelungen. Das eritreische Regime unterdrückt die eigene Bevölkerung. Freweyni Habtemariam und Mirjam van Reisen skizzierten die geschichtliche Entwicklung des Landes und wie der Befreiungskampf von der Kolonie hin zu einem souveränen Staat zu erneuter Unterdrückung geführt hat.
Die Referentinnen schilderten auch die Situation von Eritreer*innen, denen die Flucht vor Militärdienst, vor der Gewalt und Hunger gelungen ist. In den 1980er und 90er Jahren sei es zur Entstehung unterschiedlicher „Fluchtgenerationen“ gekommen: Direkt nach der „Befreiung“ aus der italienischen Fremdherrschaft habe sich zunächst eine polarisierte Generation von Regimebefürworter*innen und -gegner*innen herausgebildet. Wer der Regierung positiv gegenüberstand, sei häufig auf legalem Weg nach Europa migriert, Gegner*innen des Regimes seien meist als Geflüchtete gekommen. Ende der 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre seien vor allem solche Eritreer*innen nach Europa gelangt, die vor der Diktatur und dem eritreisch-äthiopischen Krieg geflohen waren. Seit 2010 seien es häufig traumatisierte Minderjährige und Opfer des schikanösen, jahrelangen Militärdienstes, die versuchten, Europa zu erreichen. Oftmals würden sie auf der Flucht Opfer von Menschenhandel oder in libyschen Lagern misshandelt.
Auch in Europa, unterstrichen Freweyni Habtemariam und Mirjam van Reisen, entfalte das eritreische Regime seine Macht und versuche, Zwietracht in der Diaspora zu stiften. Die Regierungspartei PFDJ – die „Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit“ – habe konkrete Unterdrückungsstrukturen etabliert. Regimetreue Mitarbeitende gingen in den jeweiligen Aufnahmeländern teilweise von Haustür zu Haustür, um Eritreer*innen zu registrieren, zu indoktrinieren, zu kontrollieren und zu bedrohen.
Auch Kirchen spielten eine bedeutende Rolle in der eritreischen Diaspora. Sie dienten als Treffpunkte für kulturellen Austausch und seien gleichzeitig politische Instrumente. Orthodoxe Kirchen seien oftmals regimetreu und versuchen, die Kontrolle über die in Europa lebenden Eritreer*innen auszubauen. Kirchen, die sich einer politischen Parteinahme verweigerten, würden unter Druck gesetzt, sich zu positionieren. Der Missbrauch von Macht sei in kirchlichen Strukturen der eritreischen Diaspora weit verbreitet, bleibe aber meist unentdeckt, um das Ansehen der Gemeinschaft zu bewahren.
Professorin Mirjam van Reisen lehrt und forscht an den Universitäten Tilburg und Leiden (Niederlande), Freweyni Habtemariam gehört dem Verein Eritrean Initiative for Dialogue and Cooperation (Eridac) an.
Erschienen am 20.07.2023
Aktualisiert am 01.08.2023