Nächstenliebe unter Druck
Tagung zu Kirche im Einsatz für Demokratie
Was können Kirchen und Zivilgesellschaft dem Erstarken der extremen Rechten entgegensetzen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R) in Dresden.
Mit einer Schweigeminute für die Opfer des Terrorangriffs der Hamas auf Israel begann die zweitägige Tagung in Dresden. Der Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Heinrich Timmereves, betonte in seinem Grußwort, dass „unsere deutsche und christliche Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk“ dazu verpflichte, „bedingungslos jüdisches Leben zu schützen“. Dies gelte mit Blick auf den Nahen Osten, aber auch mit Blick auf Rechtsextremismus in Deutschland. Nora Goldenbogen, Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Sachsen, zeigte sich in ihren einleitenden Worten tief betroffen vom erstarkten Antisemitismus. Unter Jüdinnen und Juden mache sich Angst breit, dass sich der islamistische Antisemitismus mit dem ureigenen deutschen verbinde. Es sei eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft, damit umzugehen.
Im Dialog bleiben oder Grenzen ziehen?
Eine Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aus der sächsischen Zivilgesellschaft widmete sich der Frage, wie angesichts des Erstarkens der extremen Rechten und eines weit verbreiteten Rassismus gesellschaftliche Dialoge gelingen können. Dabei kamen Erfahrungen aus Diskussionsprojekten etwa der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung oder von kirchlichen Akademien zur Sprache. „Wir müssen im Dialog bleiben. Aber gleichzeitig muss die Würde des Menschen in jeder Situation gewahrt bleiben“, forderte Lisa-Marie Eberharter von der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Petra Schickert (Kulturbüro Sachsen) betonte dagegen auch die Grenzen von Diskussionen: „Wenn wir Rechtsextreme in Veranstaltungen zulassen, ist das kein angstfreier Raum mehr für alle, wo offen diskutiert werden kann.“ Özcan Karadeniz, Geschäftsführer des Dachverbandes sächsischer Migrant*innenorganisationen, forderte anzuerkennen, dass der Rechtsextremismus „ein Kind der Mitte der Gesellschaft“ sei. Ihn zu bekämpfen, sei ein Job, den „Weiße“ übernehmen sollten.
Inwiefern legitimiert die Leitung der russisch-orthodoxe Kirche mit einer „imperialen Theologie“ den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine? Dieser Frage ging Regula Zwahlen Guth, Expertin für orthodoxe Theologie, in ihrem Beitrag zu Beginn des zweiten Tages nach. Darin machte sie darauf aufmerksam, dass die russisch-orthodoxe Kriegstheologie von heute die deutsche Kriegstheologie aus dem letzten Jahrhundert wiederhole.
Demokratisches Engagement unter Gefährdung
Angriffe von rechts auf die Zivilgesellschaft standen im Mittelpunkt einer weiteren Podiumsdiskussion: Wie kann demokratisches Engagement trotz Gefährdung gelingen? Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, betonte, in ganz Sachsen gebe es eine langjährig gewachsene und verfestigte rechtsextreme Szene, die mit herkömmlicher politischer Bildungsarbeit nicht mehr zu erreichen sei. Dies bedeute in sich schon eine Gefährdung der Zivilgesellschaft.
Rudaba Badakhshi vom Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen beschrieb eine doppelte Einschränkung, von der etwa Menschen mit nicht ausreichend sicherem Aufenthaltsstatus betroffen sind: Ihre Meinungsfreiheit wird bedroht einerseits durch die extreme Rechte und anderseits auch durch die Sorge, dass sich demokratische Teilhabe negativ auf ihr Aufenthaltsrecht auswirken könnte. Dorothea Schneider vom Verein Augen auf e.V. beschrieb eindringlich massive Bedrohungen und Angriffe, denen demokratisch engagierte Menschen besonders im ländlichen Raum ausgesetzt sind. Die anschließenden Workshops widmeten sich Themen wie den rechtsextremen Strukturen in Sachsen, der Reichsbürger*innen-Szene, rechtslastigen Teilen des evangelikalen Milieus sowie Antisemitismus.
Uneingeschränkte Solidarität mit Israel
Die 70 Teilnehmenden beschlossen eine Erklärung zum Terror der Hamas gegen Israel. Die Teilnehmenden zeigten sich erschüttert über die alle Begriffe sprengende Gewalt der Hamas. Es handele sich um die schlimmsten Angriffe auf jüdisches Leben seit 1945. Die BAG K+R erklärte sich vor diesem Hintergrund uneingeschränkt solidarisch an der Seite Israels. Der Terror sei durch nichts zu rechtfertigen und dürfe nicht relativiert werden. Die Erklärung fordert Politiker*innen und Sicherheitsbehörden auf, sich stärker gegen Antisemitismus zu positionieren und jüdisches Leben auf lange Sicht zu schützen.
Das diesjährige Forum der BAG K+R fand statt in Kooperation mit der Diakonie Sachsen, dem Kulturbüro Sachsen, der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, dem Netzwerk Tolerantes Sachsen, der Evangelischen Akademie zu Berlin und dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend.
Erschienen am 02.11.2023
Aktualisiert am 04.01.2024