Roma als Bestandteil der ukrainischen Gesellschaft
Eindrücke von einer Konferenz in Berlin
Was bedeuten die aktuellen politischen Entwicklungen in der Ukraine für die Rom*nja im Land? Welche Chancen eröffnen sich im bevorstehenden Wiederaufbauprozess für die Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Situation? Bei einer Konferenz im Haus der EKD in Berlin berieten Vertreter*innen der Regierungen der Ukraine und Deutschlands, internationaler und zivilgesellschaftlicher Organisationen über Wege für die gleichberechtigte Teilhabe der Rom*nja in der Ukraine.
Veranstalter der Konferenz „Roma as integral part of society of Ukraine“ waren der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, die Jugendorganisation für die Förderung der Kultur der Roma in der Ukraine ARCA sowie Chiricli (Roma Women Fund, Ukraine). Gefördert wurde sie vom Auswärtigen Amt, der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und von uns als Evangelischen Akademie zu Berlin.
Die Leiterin der GfbV-Menschenrechtsabteilung, Sarah Reinke, hat am Vorabend der Konferenz mit den Delegierten aus der Ukraine gesprochen und ihre Eindrücke sowie Forderungen der Teilnehmenden notiert.
Der Krieg macht die Lage der Rom*nja noch schwieriger
„Ich komme aus der Nähe von Charkiv. Mit Kriegsbeginn haben wir Romnja in und um Charkiv versucht, uns zu organisieren. An erster Stelle stand die humanitäre Hilfe, gerade auch für Flüchtlinge. Einige Roma betreiben in der Region Restaurants. Als Flüchtlinge und andere Hilfsbedürftige bei uns in der Stadt ankamen, haben wir sie alle mit Essen versorgt. Vor den Restaurants bildeten sich lange Schlangen. Uns war es egal, ob da nun Roma standen oder andere Ukrainer*innen. Wir haben alle gleich versorgt!“ So berichtet Yanush, der am 14. Juni an der Konferenz „Roma as integral part of Society of Ukraine“ im Haus der EKD in Berlin teilnahm. Zur Konferenz war eine 15-köpfige Delegation aus der Ukraine angereist.
„United in Diversity“, lautet das von der Europäischen Union entlehnte Motto, das die ukrainische Politik für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Ukraine ausgegeben hat. Die rund 400.000 ukrainischen Rom*nja, von denen etwa 100.000 wegen des Krieges aus dem Land geflohen sind, dürften jene Minderheit sein, für die die Situation im Land am schwierigsten ist. Zugleich strebt die Ukraine in die EU und bereitet sich schon während des Krieges auf den Beitrittsprozess vor. Dafür ist eine überzeugende Minderheitenpolitik wichtig. Genau an diesem Punkt setzte die Konferenz „Roma as integral part of society of Ukraine“ an.
Im Krieg stehen die Rom*nja fest an der Seite der Ukraine. Rom*nja kämpfen in der Armee, sie unterstützen als zivilgesellschaftliche Aktivist*innen und tragen die Politik mit. Doch der Krieg macht ihre Lage schwieriger, als sie ohnehin schon war.
„Mein Junge hat bei Bachmut gekämpft. Er fiel den Russen in die Hände. Seit dem 12. Mai haben wir nichts von ihm gehört. Wir wissen, dass er in Gefangenschaft ist. Aber er darf kein Handy haben, wir haben gar keinen Kontakt zu ihm“, erzählt Vova, der selbst aus Transkarpatien stammt und dort eine Hilfsorganisation für Romnja betreibt.
Fehlende Papiere erschweren Zugang zu Hilfe
„Es sind immer noch dieselben Probleme wie vor zehn oder zwanzig Jahren – nur, dass sie jetzt durch den Krieg verschärft werden. Am schlimmsten ist, dass viele Rom*nja immer noch keine Ausweispapiere haben. Daher haben sie oft keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, finden keine Arbeit und nur schwer eine Wohnung“, berichtet Yulia Kondur von der Frauenorganisation Ciricli. Die fehlenden Papiere machten es auch geflüchteten Rom*nja extrem schwer in den Aufnahmeländern, betont sie.
Der online zugeschaltete Mykhailo Spasov, Vertreter des Kommissars für Gleichberechtigung und die Rechte der nationalen Minderheiten der Ukraine, positioniert sich dazu: „Wir arbeiten an der Frage der Papiere: Wir wissen, dass die Zeit drängt und wir versuchen wirklich alles, damit wir hier zu einer Lösung kommen.“
Die Teilnehmer*innen der Delegation aus der Ukraine betonen, wie stark das Engagement der Zivilgesellschaft ist. Insgesamt sei diese während des Krieges eine Stütze für viele Ukrainer*innen, und die Rom*nja hätten viel selbst in die Hand genommen. Anzhelika Bielova von der humanitären Organisation „Voice of Romni“ berichtet, sie habe im Frühjahr 2022 ganz alleine angefangen zu helfen. Jetzt seien in ihrer Organisation 50 Personen aktiv. Sie hätten schon für 20.000 Rom*nja humanitäre Hilfe geleistet. Ein Schwerpunkt seien die Binnengeflüchteten, denn unter ihnen hätten gerade die Frauen ihre Arbeit durch die Flucht verloren. Nun organisiert „Voice of Romni“ für diese Weiterbildungsmaßnahmen und Schulungen. Und ja, es gebe Gelder, so die die Vertreterinnen der Rom*nja-Organisationen, doch es sei schwer für sie in den Regionen, an diese Gelder zu kommen. Man bräuchte viel mehr humanitäre Hilfe für die Rom*nja vor Ort.
70 Prozent der Kinder hätten im Moment keinen Zugang zu Bildung. Die Rom*nja seien oft einfach zu arm, sie hätten keine Computer zu Hause, mit dem die Kinder am Online-Unterricht teilnehmen könnten, wie das viele ukrainische geflüchtete Kinder im In- und Ausland täten. Man dürfe nicht bei humanitärer Hilfe stehen bleiben, darin waren sich alle Vertreter*innen der Rom*nja-Organisationen sowie die dazu geladenen Repräsentant*innen aus der Politik und von internationalen Organisationen einig.
Politische Forderungen
Vor der Konferenz hatten Rom*nja aus der Ukraine daher ein Strategiepapier vorbereitet, in dem sie die wichtigsten politischen Forderungen nennen. Stellvertretend für die gesamte Delegation nannte Natali Tomenko von der Jugendorganisation ARCA die wichtigsten Forderungen:
- Es sollen positive Geschichten über und mit Rom*nja dokumentiert und veröffentlicht werden, denn die Romnja seien vielfach in der Ukraine noch mit einem tief sitzenden Antiziganismus konfrontiert.
- Es braucht ein Programm zur Förderung der Kultur, dies würde auch zu einem besseren Verständnis der Rom*nja durch die Mehrheitsgesellschaft führen.
- Gefördert werden sollten technische und finanzielle Hilfen für die Rom*nja, damit diese sich besser in der Zivilgesellschaft einbringen könnten.
- Für Rückkehrer*innen bräuchte es ein Aufnahmeprogramm, das auf die speziellen Bedürfnisse der Rom*nja ausgerichtet sein müsse.
Jetzt könnten die Rom*nja und ihre Verbündeten in Europa die Zeit nutzen, um dieser Minderheit endlich zu ihren Rechten zu verhelfen. Dafür sind die politischen Papiere von Seiten der Rom*nja vorbereitet. Sie engagieren sich mutig und aktiv, die ukrainische Politik bewegt sich, internationale Partner unterstützen. Doch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert an, ist unberechenbar und gefährdet alle Menschen in der Ukraine, besonders verletzliche Minderheiten wie die Rom*nja.
Den Text veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung der Gesellschaft für bedrohte Völker, auf deren Blog er zuerst erschien. Er erscheint hier in leicht angepasster Form.
Erschienen am 22.06.2023
Aktualisiert am 04.08.2023