„Warum gibt es hier keine App für Behördendienste?“
Junge Geflüchtete stellten Fragen zum Ankommen
Welche Fragen treiben Jugendliche um, die aus der Ukraine oder anderen Ländern geflüchtet sind und in Berlin oder Brandenburg Zuflucht gefunden haben? Das erfuhren Vertreter*innen von Politik und Verwaltung aus erster Hand bei unserem Workshop „Ankommen?“ im Oberstufenzentrum Kraftfahrzeugtechnik in Berlin-Charlottenburg.
Der Einladung zum Austausch über ihre Erfahrungen waren Schüler*innen aus Willkommensklassen der Nelson-Mandela-Schule Berlin gefolgt, außerdem Schüler*innen aus der Ukraine, Afghanistan und weiteren Ländern vom Oberstufenzentrum sowie eine Gruppe von Jugendlichen aus dem Mühlenbecker Land, die alle aus der Ukraine geflüchtet sind und sich über einen Chor und andere Freizeitaktivitäten kennengelernt haben. Ihren Fragen stellten sich die Integrationsbeauftragten Brandenburgs und Berlins, Doris Lemmermeier und Katarina Niewiedzial, sowie Volker Gäng von der Stabsstelle der Gemeinde Mühlenbecker Land und Björn Wohlert (CDU), Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin.
Ein sicheres und geschütztes Zuhause zu finden, wo sie sich wohl fühlen, beschäftigt die Schüler*innen sehr. In Berlin und den urbanen Zentren in Brandenburg ist dies besonders schwer, wie die Schilderungen von Teilnehmer*innen, aber auch von Volker Gäng deutlich machten. In Mittelpunkt der Diskussion stand deshalb die Frage, was einen Ort lebenswert macht und warum so viele Menschen in Berlin bleiben möchten. Im föderal organisierten Deutschland müssten die Geflüchteten gleichmäßiger verteilt werden, argumentierte die Berliner Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial. Die Jugendlichen schilderten Angehörige, Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsgelegenheiten als ausschlaggebende Faktoren, an einem Ort zu bleiben. Aus diesen Gründen sei Berlin für viele sehr attraktiv.
Mehr Möglichkeiten zum Spracherwerb gewünscht
Um langfristig noch besser ankommen zu können, wünschen sich die Jugendlichen mehr Gelegenheiten, um Deutsch zu lernen und es vor allem auch mit Muttersprachler*innen zu sprechen. Die Wartezeit für Sprachkurse sei zu lang, berichten Schüler*Innen, die schon vor mehreren Jahren nach Deutschland gekommen sind und weiterhin gerne besser Deutsch lernen würden. Volker Gäng, im Mühlenbecker Land in der Verwaltung tätig und seit langem in der Flüchtlingshilfe engagiert, empfahl ihnen, sich in einem Chor oder in Vereinen zu engagieren, um Sprachpraxis zu erwerben. Alle waren sich einig, dass Sprache nicht allein in der Schule erlernt werden könne, sondern dass dazu auch intensiver Austausch im Alltag nötig sei. Viele der Schüler*innen wünschen sich deshalb neue Freundschaften mit Gleichaltrigen.
Doch die Sprachhürde betrifft nicht nur Schule und Freizeit. Vor allem Behördengänge schilderten die Jugendlichen als schwierig – nicht nur, weil Dolmetscher*innen fehlten, sondern auch wegen des oft verklausulierten Behördendeutschs. Die Idee, eine App für Behördendienste nach ukrainischem Vorbild auch in Deutschland einzuführen, um Sprachbarrieren im Kontakt mit amtlichen Stellen zu umgehen, veranlasste die brandenburgische Integrationsbeauftragte Doris Lemmermeier zu Selbstkritik: Die Rückmeldungen von Geflüchteten zum komplizierten Umgang mit Behörden machten im Grunde nur sichtbar, was grundsätzlich schief laufe – auch für Menschen, die schon immer hier lebten.
Kritik an schwerfälligen Behörden
Wie schwerfällig Behörden oft agieren, zeige auch die Einbürgerungspraxis für Migrant*innen, so ein weiterer Kritikpunkt in der Diskussion. Ihnen liege viel daran, auch formale Rechte als Staatsbürger*innen zu erhalten, machten die Schüler*innen deutlich. Einigen ukrainischen Geflüchteten war es dabei in der Diskussion wichtig, den ukrainischen Pass gleichzeitig behalten zu können. Ankommen heiße nicht, sich von seiner Herkunftsgemeinschaft zu lösen, sondern könne auch bedeuten, beidem zugehörig sein, betonten sie. Auf die Frage einer Schülerin, wie man Politiker*in werden könne, erläuterte der Berliner CDU-Abgeordnete Björn Wohlert, welche Möglichkeiten es gibt, politisch aktiv zu werden.
Die jungen Teilnehmer*innen des Workshops jedenfalls haben sich auf den Weg gemacht, sich mit dem Leben in Berlin und Brandenburg vertraut zu machen. Das Gespräch war ein weiterer Baustein dazu. Es vermittelte ihnen Einblicke in die Perspektive von Politik und Verwaltung und machte ihre Erfahrungen für die Entscheidungsträger*innen sichtbar.
Erschienen am 28.02.2023
Aktualisiert am 03.04.2023