Rassismus – ein Thema in der Kirche?

Rassismus – ein Thema in der Kirche?

Warum stammen alle Menschen von Adam und Eva ab? Damit sich Keine*r über Andere erhebe. So lautet eine jüdische Auslegung der Schöpfungsgeschichte. Diese so wunderbare und einfache Wahrheit lebt sich durch alle Zeiten hindurch schwer. Mit erfundenen Abstammungsorten wurden Menschen unterschiedliche Wertigkeiten zugeschrieben.

Rassismus trennt und unterscheidet. Rassismus entwertet und bedroht, verunsichert und tötet. In Deutschland erleben aktuellen Studien zufolge etwa 20 bis 30 Prozent aller Menschen in ihrem Alltag Rassismus; von den befragten Schwarzen Menschen sind es 54 Prozent. Muslim*innen, Sinti und Roma sowie weitere von Rassismus Betroffene berichten darüber hinaus von regelmäßigen Rassismuserfahrungen bei Behörden, im Kontakt mit der Polizei sowie in der Gesundheitsversorgung.

Rassismus ist die Unterscheidung und Abwertung von Menschen auf Grund verschiedener, auch zugeschriebener Merkmale wie Hautton, Name, Sprache, Herkunft und vieler weiterer Eigenschaften. In zahlreichen Praxisfeldern im Kontext von Diakonie und Kirche wird seit Jahrzenten viel bewegt in der Bekämpfung von Rassismus: das Engagement für Geflohene in Gemeinden, die internationale Ökumene, Begegnungsformate, Asyl in der Kirche und vieles mehr. Dieses Engagement ist wertvoll in Zeiten öffentlicher und gesellschaftlicher Debatten um Rassismus und Migration, die mitunter nicht nach Lösungen suchend, sondern menschenverachtend geführt werden.

Theologische Leitbilder gesucht

Für einen kirchlichen Beitrag zu diesen Debatten braucht es auch einen Blick nach innen und ein Suchen nach theologischen, christlichen Leitbildern und Erzählungen zum Umgang mit Rassismus in unserer Gesellschaft. Die meisten Christ*innen haben eine entschiedene Haltung zu Rassismus: Bei uns nicht! Diese Entschiedenheit greift häufig zu kurz, weil sie den genauen und selbstkritischen Blick auf das Eigene nicht zulässt und dadurch eine Auseinandersetzung mit individueller und kirchlicher Verantwortung für rassistisches Wirken versperrt.

Rassistische Vorurteile und Strukturen gibt es auch in der Kirche, und sie sind weder individuell noch institutionell leicht zu erkennen. Rassismus ist nicht immer beabsichtigt und passiert häufig unbewusst – doch die Wirkung bei Betroffenen ist davon unabhängig. Rassismus betrifft uns als Kirche, auch wenn die überwiegende Mehrheit ihrer Mitglieder nicht negativ von Rassismus betroffen ist.

Vor diesem Hintergrund und aus dieser Perspektive sind die folgenden Fragen wichtig:

  • Wie gestalten wir eine Gegenwart, die ohne rassistische Bilder auskommt: in Kirchenliedern, in Kinderbüchern, auf Werbeplakaten und so weiter?
  • Wie sind wir als Kirche ein Ort für alle Menschen in unserer postmigrantischen, d.h. durch die Erfahrung von Migration geprägten Gesellschaft? Sind wir willkommen heißend, einladend, inklusiv? Merken wir, wenn wir es nicht sind?
  • Wie ist Kirche prophetische und solidarische Stimme in gesellschaftliche und politische Diskurse hinein für diejenigen und mit denen, die täglich von Rassismus betroffen sind?

„Lasset uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei“ (Genesis 1,26) 

Was ist der Mensch? Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes, jede*r einzelne einzigartig und gleich an Würde und Wert. Rassismus unterscheidet Menschen in ihrem Wert und ihrer Würde in eine Mehr-oder-weniger-Logik. Rassismus verletzt und beschädigt alle als von Gott mit Würde begabte Menschen. Rassismus betrifft uns also alle – diejenigen, die Rassismus negativ und gewaltförmig erfahren und diejenigen, die von Rassismus profitieren.

„Vor Gott sind alle Menschen gleich“ – wie können wir dieses biblische Fundament als Orientierung leben, ohne zu ignorieren, dass viele Menschen auch in der Kirche diese Gleichheit nicht erleben?

Was bedeutet diese Spannung für ein kirchliches Leben und für die Theologie, und wie lässt sie sich produktiv gestalten? Wie sehen Orte, Gemeinden, Angebote aus, die diese Spannung als Einladung und spirituelle und politische Kraftquelle formulieren?

„Da ist nicht Jude noch Grieche, noch Sklave und Herr, nicht männlich noch weiblich in Jesus Christus.“ (Galater 3,28)

Paulus‘ Vision ist eine gleichberechtigte Vielfalt in christlichen Gemeinden. Reale Machtkonflikte sowie Positionen, Privilegien und Ungerechtigkeiten, die durch wirtschaftliche, rechtliche oder gesellschaftliche Ungleichheiten entstanden sind, werden hierdurch nicht verschwiegen oder in ihrer lebenspraktischen Relevanz ausgelöscht. Vielmehr sollen sie in der Gemeinde in Christus keine Rolle spielen, nicht reproduziert werden.

Ohne Angst verschieden sein – wie kann das gehen? Wie gelingt es, die Vielfalt von Biografien, Positionen und Erfahrungen ernst zu nehmen und wertzuschätzen statt sie gegeneinander, abwägend und abwertend anzufragen oder auszuspielen? Wie lässt sich das in der Predigt, im Gespräch, in der Gemeinde verwirklichen, ohne Unterschiede zu glätten und verwässern zu wollen?

Biblisch und historisch ist Migration die Mutter aller Entwicklung – das gilt für die deutsche wie für die Weltgeschichte. Wie können wir diese Perspektive stärken und eine Auseinandersetzung um Migration führen, die Herausforderungen und Konflikte nicht verschweigt, die aber Rassismus, Ausgrenzung und Defizitorientierung nicht wiederholt?

Als Kirche, als Christ*innen wollen wir uns für die Gerechtigkeit unserer Gesellschaft und für die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen einsetzen. Dazu gehört ebenso, zuzuhören und Ambivalenzen auszuhalten wie zu streiten und Fragen zu stellen. Dabei werden wir Fehler machen, aber wir wollen mit Hoffnung unterwegs sein.

Vertiefend zum Thema:

  • Digitaler VerLernKurs mit rassismuskritischen Impulsen für die kirchliche Bildung und Praxis, zusammengestellt vom DisKursLab der Evangelischen Akademie zu Berlin. Der Kurs eignet sich zum Selbststudium, beinhaltet vielfältiges Material zur (religions-) pädagogischen Nutzung und ist auch zum gemeinsamen Bearbeiten in Gruppen einsetzbar.
  • Auf dem Blog Rassismus und Kirche der Vereinten Evangelischen Mission finden Sie Artikel, Material und Veranstaltungshinweise zum Themenfeld.
  • Auf der Seite des Netzwerks antisemitismus- und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie sind Veranstaltungshinweise sowie ein umfangreicher Katalog mit Fachtexten und Materialien zu finden.
Spiegelnde Postkarte mit dem Schriftzug "Selbstreflexion" und einer Kirche

Rassismus verlernen

Digitaler VerLernKurs für die kirchliche Bildung und Praxis

Ein digitaler VerLernKurs übersetzt wesentliche Erkenntnisse der Rassismuskritik jetzt in praxistaugliche, flexibel einsetzbare Module für Religionsunterricht und Gemeindearbeit. Der Kurs lädt dazu ein, persönliche, theologische und kirchliche Verstrickungen in rassistische Strukturen zu …

DisKursLab

Labor für antisemitismus- und rassismuskritische Bildung und Praxis

Das Modellprojekt DisKursLab begreift den digitalen Wandel als nicht nur technische, sondern vor allem soziale Herausforderung und zugleich als Chance für Demokratisierungsprozesse. Mit innovativen (Bildungs-) Formaten für Theologie und Religionspädagogik und Gemeindepraxis verbindet das Projekt …

Kristina Herbst

Projektleitung „DisKursLab – Labor für antisemitismus- und rassismuskritische Bildung & Praxis“

Telefon (030) 203 55 - 516

Schmidt, Nina 2020

Nina Schmidt

Projektleitung „DisKursLab – Labor für antisemitismus- und rassismuskritische Bildung & Praxis“

Telefon (030) 203 55 - 516

Hoffnung in bedrohten Zeiten

Christliche Beiträge zur Demokratie heute

Wir glauben, dass Gott uns nicht den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit gegeben hat. (2. Timotheus 1,7) Gesellschaftliche Debatten nehmen seit einiger Zeit an Schärfe und Polemik zu. Die These von der gespaltenen Gesellschaft ist zum medialen Dauerthema geworden. …

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