„Wir müssen der Realität in die Augen schauen“
Expertin Sevda Evcil über Risiken der Leihmutterschaft
Dürfen Paare oder Einzelpersonen ihre Kinder bald von Leihmüttern austragen lassen? Bislang ist das in Deutschland verboten. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien sieht jedoch vor, dass die von der Bundesregierung berufene Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin die Legalisierung der altruistischen – also nicht kommerziellen – Leihmutterschaft prüft. Im Vorfeld eines möglichen Gesetzentwurfs vertiefen wir mit einem Fachgespräch am 23. April die Debatte über reproduktive Selbstbestimmung und ihre Grenzen. Mit der Geschlechterforscherin und Familienrechtlerin Sevda Evcil haben wir vorab über die Risiken einer Legalisierung gesprochen.
Frage: Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Können Sie die Argumente derer verstehen, die sich für eine Legalisierung einsetzen?
Sevda Evcil: Ich kann nachvollziehen, dass die Befürworter*innen der Legalisierung von Leihmutterschaft die paternalistische Haltung und das naturalistische Mutterbild des Gesetzgebers, nicht für zeitgemäß halten und hier Reformbedarfe sehen. Allerdings wird eine vorwiegend liberale Sicht der Debatte um die Legalisierung der Leihmutterschaft keinesfalls gerecht.
Sie sind skeptisch, dass eine Leihmutterschaft in einer profitorientierten Kinderwunschindustrie altruistisch sein kann. Warum?
Evcil: Ja, definitiv! Ich war am 3. März auf der Kinderwunschmesse in Berlin. Zur Verfügung standen auch Dienste der Leihmütter aus Ländern, in denen die Leihmutterschaft lediglich altruistisch möglich ist. Auf meine Frage, wie das gehen soll, antwortete die Mitarbeiterin einer Agentur, dass altruistische Leihmütter ebenfalls vergütet werden. Ich will damit sagen: Wir müssen der Realität einfach in die Augen schauen. Wir dürfen uns nicht mit einer Altruismus-Klausel weismachen lassen, dass Frauen risikoreiche reproduktive Dienste aus Nächstenliebe anbieten werden. Das tun sie nämlich nicht! Dies altruistisch regeln zu wollen, führt zudem dazu, dass das Wissen über den weiblichen Körper und die Fortpflanzung sowie die (Klinische) Arbeit von Frauen weiterhin abgewertet und marginalisiert wird.
Diskutiert wird auch über die Legalisierung der Eizellspende. Wie beurteilen Sie eine mögliche Gesetzesänderung in diesem Punkt?
Evcil: Insbesondere die Spende von überzähligen Eizellen sollte legalisiert werden. Gleiches gilt auch für die Embryospende. Zur Bekämpfung ausbeuterischer Verhältnisse auf dem Reproduktionsmarkt und im Sinne des Kindeswohls wäre hier zu überlegen, ob die Spende fremder Gameten (Keimzellen) – und der Zugang zu den reproduktiven Technologien – im Rahmen des öffentlichen Gesundheitssystems geregelt werden kann.
Savda Evcil forschte am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim bis 2023 unter anderem zur rechtlichen Regulierung von Elternschaft.
Das Fachgespräch Leihmutterschaft – ein Weg zum Kind auch in Deutschland? am 23. April ist Teil der Veranstaltungsreihe Leihmutterschaft im Diskurs, die wir gemeinsam mit dem Zentrum für Gesundheitsethikan der Evangelischen Akademie Loccum, der Akademie Tutzing und mit Unterstützung durch die Evangelische Kirche in Deutschland ausrichten.
Erschienen am 28.03.2024
Aktualisiert am 02.04.2024