Warum wir weiterhin Parteien brauchen
Parteiendistanz als Bedrohung parlamentarischer Demokratie
Wie lässt sich Erfahrungen der Distanz zur parlamentarischen Demokratie entgegenwirken? Was kann man der auch medial hoch wirksamen Erzählung von einer gesellschaftlichen Spaltung insbesondere im Osten Deutschlands entgegensetzen? Darüber haben die Direktoren der ostdeutschen Evangelischen Akademien in ihrem dritten Fachgespräch zur Demokratie im Wahljahr 2024 mit Fachleuten diskutiert.
„Wir wissen einerseits aus Umfragen, dass es im Osten sehr hohe Zustimmungswerte zur Demokratie als Staatsform gibt“, sagte Friederike Krippner, Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin. „Andererseits ist die Unzufriedenheit mit der gelebten parlamentarischen Demokratie höher als im Westen Deutschland. Das macht es einer ihrem Wesen nach antidemokratischen Partei wie der AfD besonders leicht, Zustimmung zu erhalten: Sie inszeniert sich als Gegenprogramm zu den demokratischen Parteien.“
Eine weitere Herausforderung bestehe in einer historisch erklärbaren Distanz im Osten zu politischen Parteien an sich. Vor allem auf kommunaler Ebene werde das deutlich, wo sehr viele parteilose Menschen die Geschicke von Kommunen lenkten, so Krippner: „Dieses Phänomen ist Symptom wie auch Katalysator einer gewissen Distanz zur parlamentarischen Parteiendemokratie. Das ist ambivalent. Denn so hervorragend die Arbeit vor Ort oft auch ist: Wo Bürgermeisterinnen und Bürgermeister nicht in Parteien eingebunden sind, haben sie auch keine Möglichkeit, eine Brücke zwischen ‚denen da oben‘ und denen zu bilden, die vor Ort Probleme erlebbar lösen.“
Christoph Maier, Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, betonte, dass es im Osten sehr starke und positive Erfahrungen mit gelebter Demokratie gebe. Er erinnerte etwa an die demokratischen Bewegungen, die einst die Friedliche Revolution von 1989 ermöglichten. Dieser positive Erfahrungsraum sei gleichermaßen Herausforderung wie Chance: „Wenn wir über die Stärkung der Demokratie sprechen, müssen wir in Betracht ziehen, dass Menschen damit sehr Unterschiedliches verbinden: Reden wir über die Idee einer Straßendemokratie mit Protest und Demonstrationen? Geht es um basisdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten zur Gestaltung unserer unmittelbaren gesellschaftlichen Umgebung? Oder sprechen wir über das langfristige Engagement in einer demokratischen Partei?“
Möglicherweise müsse man angesichts schrumpfender Parteien viel stärker als bisher darüber nachdenken, wie sich Demokratie jenseits des Parteienspektrums praktizieren lasse – etwa durch Formate wie Bürgerräte oder runde Tische. Dies könne die Vorteile der parlamentarischen Demokratie aber nur ergänzen und nicht ersetzen. Daher müsse zugleich das Vertrauen in die parlamentarischen Parteiendemokratie gestärkt werden. Dies sei Aufgabe nicht nur der Politik, sondern auch zivilgesellschaftlicher Kräfte, so Maier: „Aufgabe beider großen Kirchen und insbesondere ihrer Akademien ist in der derzeitigen Situation unbedingt, das Zutrauen in die parlamentarische Demokratie zu stärken oder neu aufzubauen. Dazu gehört, auch schwierige politische Debatten zu ermöglichen, kirchliche Räume zu öffnen und mit Veranstaltungen in die Fläche zu gehen.“
Im Wahljahr 2024 debattieren die Direktoren der Evangelischen Akademien in Ostdeutschland monatlich in einem Fachgespräch mit Wissenschaftlerinnen, Medienvertretern und Theologen über den Umgang mit rechtsradikalen Parteien. Die Essenz dieser Gespräche veröffentlichen die Akademien als gemeinsame Stellungnahmen zur Demokratie.
Erschienen am 16.04.2024
Aktualisiert am 17.04.2024