„Wir wollten Veränderung“
Nachdenken über eine andere DDR am Abend des Mauerfalls
35 Jahre sind die Ereignisse der Friedlichen Revolution in der DDR jettzt her. Kurz vor dem Jahrestag haben einige der damals prominent Beteiligten gemeiinsam auf den 9. November 1989 zurückgeblickt – und zwar auf einen historischen Moment, in dem sie noch über Reformen im bestehenden System diskutierten und nicht ahnten, dass zugleich schon die Mauer aufging. Ausgangspunkt ihres Gesprächs war eine Fernsehdokumentation über eine Debatte am Abend des Mauerfalls in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin. „Die Kirchen, die Parteien und die Zukunft dieses Landes“ lautete ihr Titel, geladen waren Mitglieder von Blockparteien, Kirchen und Oppositionsgruppen. Es war die letzte große Diskussion, bei der es um Visionen einer anderen DDR ging, bevor die Mauer fiel.
Obwohl das System der DDR erodierte, habe sie eine Deutsche Einheit an jenem 9. November „überhaupt nicht im Blick gehabt“, sagte die ehemalige thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. „Wir haben in den Grenzen der DDR gedacht und wollten eine Demokratisierung der DDR“, betonte die Theologin im Anschluss an die Fernseh-Dokumentation im Rahmen der Veranstaltung Nachdenken über eine bessere DDR. Doch dann habe eine Dynamik „die Abläufe bestimmt“; für einige Menschen habe es nicht schnell genug gehen können, „auf der anderen Seite war es auch alles zu schnell, um es überhaupt mental verarbeiten zu können“.
Der Pfarrer und Gründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR Konrad Elmer äußerte sich bedauernd über die Zeitspanne vom Fall der Mauer bis zu den ersten gemeinsamen Wahlen. Wenn schon im Januar gewählt worden wäre, hätte die SPD „die Nase vorn“ gehabt, meinte Elmer: „Dann hätten wir ein paar soziale Staatsziele in die Verfassung bekommen, um etwas einzubringen ins gemeinsame Deutschland.“
Die ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Marianne Birthler berichtete von ihrer Überraschung angesichts des Tempos, mit dem aus den Blockparteien, insbesondere der CDU, „eine ernst zu nehmende Kraft wurde“. Viele Menschen und Parteien in der DDR hätten sich zunächst nichts anderes als eine eigenständige DDR vorstellen können und seien „überholt worden von einer großen Masse der Bevölkerung, die es wirklich besser wusste“. Die Energie, Dinge zu verändern, sei deutlich spürbar gewesen in den Wochen und Monaten nach dem Fall der Mauer. Aber es habe eigentlich nur eines gegeben, bei dem sich alle Beteiligten einig gewesen seien: „Wir wollten Veränderung“. Darüber, in welcher Form es weitergehen würde, „da fingen die spannenden Diskussionen an“.
Im Blick auf den Umgang der Diskutanten am Abend des 9. November 1989 miteinander könne man gerade heute „eine hilfreiche Idee davon bekommen, wie man um eine bessere Zukunft ringen kann“, sagte die Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin Friederike Krippner. Die Diskutanten am 9. November 1989 waren zusammengekommen, ohne von dem gerade in Kraft getretenen neuen DDR-Reisegesetz, geschweige denn von dessen Tragweite zu wissen. Manfred Stolpe, damals noch parteilos und hauptberuflich in der Leitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, hatte die Initiative ergriffen. In der brechend vollen Kirche hatten Vertreter*innen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), der CDU und der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) diskutiert, ebenso wie Repräsentierende der neuen Oppositionsgruppen und Parteien, beispielsweise des Demokratischen Aufbruchs, der SDP, dem Neuen Forum und von Demokratie Jetzt.
Die Akademie hatte in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Französischen Kirche zu Berlin zu Film und Gespräch eingeladen. Unter den Gästen waren einige, die auch bei dem vom rbb dokumentierten Gespräch vor 35 Jahren, am 9. November 1989, mitgewirkt hatten: Neben Christine Lieberknecht und Konrad Elmer waren der damalige Superintendent in Pankow Werner Krätschell sowie Joachim Heise, damals Historiker an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der SED, auf dem Podium. Marianne Birthler nahm als ehemalige Vertreterin der Initiative Frieden und Menschenrechte an der Podiumsdiskussion teil, die von Robert Ide, Autor des Tagesspiegel, moderiert wurde.
Erschienen am 08.11.2024
Aktualisiert am 14.11.2024