Deutschland hat gewählt – und nun?
Gastbeitrag von Akademiedirektorin Krippner

© Karin Baumann / EAzB
Deutschland hat gewählt. 82,5 Prozent aller Berechtigten haben sich an dieser Wahl beteiligt. Eine so hohe Wahlbeteiligung gab es seit knapp 40 Jahren nicht mehr. Man könnte sich also freudig zurücklehnen und sagen: Die bundesrepublikanische Demokratie, sie funktioniert doch! Allein, so einfach ist die Sache natürlich nicht. Denn nach einem extrem polarisierten Wahlkampf, in dem Migration zum Top-Thema gemacht wurde, nach einem Wahlkampf, in dem auch Politikerinnen und Politiker der Mitte nicht müde wurden, linke Politik müsse ein Ende haben (womit alles links der CDU gemeint war), während andere Menschen wiederum vor dem Rechtextremismus warnten und dabei gerne mal konservative und rechtsextreme Politik in einen Topf warfen – nach einem solchen Wahlkampf gibt es nun vor allem zwei Gewinner: die am Ende geglaubte Partei Die Linke, die immerhin fast 8,8 Prozent der Stimmen auf sich versammeln konnte, und natürlich die AfD, auf die jedes fünfte Kreuz der Zweitstimmen entfiel.
20 Prozent der Wählenden entschieden sich damit für eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei. Das muss erschüttern. Weniger Minderheitenschutz, weniger Zivilgesellschaft, weniger freie Presse; Abbau des Sozialstaates, die Einschränkung einer liberalen Gesellschaft; mehr nationaler Egoismus statt globaler Gemeinschaft; das Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Klimakrise – die Umsetzung all dieser und anderer Vorhaben hätte schlimme Folgen für die Menschen nicht nur in Deutschland.
Was man aus diesem Ergebnis lesen kann? Vielleicht vor allem dies: Polarisierung tut nichts und niemandem gut – der Weltgemeinschaft nicht, der Demokratie nicht, dem Zusammenhalt in einer Gesellschaft nicht, der Seele jedes und jeder Einzelnen nicht. Und: Wir müssen anerkennen, dass es offenbar ein großes Misstrauen gegenüber Institutionen gibt, aber auch gegenüber der Wirkmacht jeder einzelnen Bürgerin, jedes einzelnen Bürgers in der Demokratie.
Wie Kirche wirken kann
In diesen Diagnosen liegen Ansätze, wie Kirche wirken kann. Denn die Kirchen, Diakonie und Caritas haben, erstens, den großen Vorteil, in der Fläche vertreten zu sein. Sie versammeln in ihren Gemeinden und Einrichtungen ganz unterschiedliche Menschen. Hier liegt ein enormes Verständigungspotenzial, das noch weiter gehoben werden kann und muss. In ihren besten Momenten ist Kirche dabei, zweitens, zuhörend. Sie kann und soll nicht anders als sich für die Vulnerablen einzusetzen, sie muss daher auch Ungerechtigkeiten benennen – aber sie muss nicht belehren. Sie kann vielmehr werben, sie kann sich dem Dissens aussetzen und sie kann die richtigen Fragen stellen.
Vor diesem Hintergrund gilt es, drittens, zu erkennen, dass evangelische Bildungsarbeit ins Zentrum kirchlichen Handelns gehört. In evangelischen Kindergärten und Schulen, den Evangelischen Akademien in Deutschland und in den vielen Orten evangelischer Erwachsenenbildung wird aus einem christlichen Selbstverständnis heraus Bildungsarbeit geleistet, die auf der Förderung von Verantwortung für sich und in der Gemeinschaft, auf Selbstwirksamkeit und auf dem Respekt der Würde aller Menschen fußt. Das sind die Voraussetzungen für eine lebendige parlamentarische Demokratie.
Schließlich ist es, viertens, an uns allen, an jeder und jedem Einzelnen, nicht mitzumachen: bei Polarisierungen, bei Diffamierungen, bei Polemik, bei Verschwörungstheorien – bei allem, was auf den ersten Blick Druck abbaut, und beim zweiten Blick so viel neuen (politischen) Druck erzeugt.
„Prüfet alles und behaltet das Gute“ (1. Thessalonicher 5,21) - würden wir alle den Zwischenschritt des Prüfens einhalten, ja, es würde dem Guten helfen. Es ist an uns, die Jahreslosung auch in politisch harten Zeiten ins Leben mitzunehmen.
Der Text ist zuerst als Gastbeitrag von Akademiedirektorin Friederike Krippner auf dem Portal berlin-evangelisch.de erschiednen.
Erschienen am 03.03.2025
Aktualisiert am 03.03.2025