Leihmutterschaft im Diskurs

Leihmutterschaft im Diskurs

Bericht zur Veranstaltungsreihe

© Olena Yakobchuk / Shutterstock

Das Thema Leihmutterschaft erhitzt die Gemüter. Wenn eine Mutter das von ihr ausgetragene Kind einer anderen Person oder Familie überlässt, hat dies weit reichende rechtliche, soziale und ethisch-theologische Dimensionen. Der aktuelle Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung befeuert den Diskurs: Seine Verfasser*innen plädieren für den Fortbestand des Verbots der Leihmutterschaft in Deutschland. Mit der Veranstaltungsreihe „Leihmutterschaft im Diskurs“ sollten die Ergebnisse der Kommission diskutiert werden. Der folgende Text fasst die Veranstaltungen ausführlich zusammen.

Leihmutterschaft - ein Weg zum Kind auch in Deutschland?

Mit welchen Argumenten wird das Verbot der Leihmutterschaft begründet und inwieweit ist es aufrechtzuerhalten? Ist eine regulierte Zulassung denkbar? Welche Regelungen zum Schutz des Kindes und der austragenden Mutter braucht es? Ziel der ersten Veranstaltung zum Auftakt der Reihe war es, die Ergebnisse der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin einzuordnen und durch sozialwissenschaftliche, ethische und rechtliche Impulse kritisch zu diskutieren. Dafür wurden auch Betroffenenperspektiven in das Tagungsprogramm aufgenommen.

Eröffnet wurde die Tagung mit einem Impuls von Prof. Claudia Wiesemann (Göttingen). Als Mitglied der Kommission hatte die Medizinethikerin sich mit der Legalisierung von Eizellspenden und der altruistischen Leihmutterschaft befasst. Sie verwies darauf, dass sich bei einer Leihmutterschaft als Familiengründung mit Hilfe Dritter verschiedene Grundrechte gegenüberstehen würden, zuvorderst die Menschenwürde der Leihmutter und des Kindes sowie die Freiheitsrechte der Leihmutter und der Wunscheltern. “Altruistisch” bedeute nicht, dass die Leihmutter keine finanzielle Entschädigung entgegennehmen dürfe. Gemeint sei, dass keine vorrangig kommerziellen Motive vorliegen dürften. Das müsse aber auch für alle anderen Akteure – also beispielsweise für die an der Beratung und Begleitung beteiligten Organisationen – gelten. Im Falle einer Legalisierung der Leihmutterschaft, so die Medizinerin, müsse sichergestellt sein, dass die Selbstbestimmung aller Beteiligten an jeder Stelle gegeben sei. Dazu zähle beispielsweise auch das Recht der Leihmutter, das Kind nach der Geburt behalten zu dürfen, wie auch das Recht von Kindern auf Aufklärung über ihre Entstehungsgeschichte.

Im Anschluss folgten Berichte aus der Perspektive betroffener Wunscheltern. Zu Wort kamen drei Personen, denen es aus medizinischen Gründen nicht möglich ist, selbst Kinder zu zeugen und auszutragen. Ein Paar hat mit Hilfe einer Leihmutter aus den USA ein Kind bekommen. Für eine Frau stand die weitere Familienplanung noch aus. Insgesamt betonten die Betroffenen die Bedeutung der Möglichkeit, die Hilfe Dritter für die Erfüllung des Kinderwunsches in Anspruch nehmen zu können. Sie unterstrichen, dass es sich für sie um keine einfache Entscheidung handle, und dass es wichtig sei, einen ethisch vertretbaren und gerechten Zugang zu diesen Möglichkeiten zu schaffen. Sie berichteten von den großen Herausforderungen, der hohen finanziellen Belastung und dem Aufwand, den Kontakt zu einer Leihmutter im Ausland herzustellen und aufrechtzuerhalten. Eine nationale Regelung wäre aus ihrer Sicht ein Gewinn. Gleichzeitig wurde jedoch auch betont, dass es um ihre eigene Familiengründung gehe. Einer Leihmutter die Möglichkeit zu geben, sich nach der Geburt des Kindes dafür entscheiden zu können, das Kind zu behalten, sah das Paar als Ausschlusskriterium, eine Leihmutterschaft in Deutschland einzugehen.

Es folgten Vorträge von Sevda Evcil (Gießen) und Dr. Petra Bahr (Hannover). Die Geschlechterforscherin Sevda Evcil nahm die Debatte um Care-Arbeit zum Ausgangspunkt und fragte, ob altruistische Formen von Leihmutterschaft nicht eine Fortführung der Dynamik seien, Care-Arbeit weniger wertzuschätzen als andere Formen der Erwerbsarbeit. Sie brachte die Diskussion zudem auf den globalen Reproduktionsmarkt, der auf eine immer größere Nachfrage stoße. Evcil berichtete von dem Besuch einer Kinderwunschmesse, bei der die Kommerzialisierung rund um Leihmutterschaft deutlich zu beobachten gewesen sei; sie schloss mit der Forderung, reproduktive Arbeit als Erwerbsarbeit zu verstehen. So würden die Rechte der Frauen auch im Kontext des globalen Marktes angemessen berücksichtigt werden können.

Petra Bahr ergänzte diesen Vortrag mit theologisch-ethischen Überlegungen. Dabei verwies die Regionalbischöfin auf die Vulnerabilität aller Beteiligten und plädierte gegen eine polarisierende und diffamierende Sprache. Gleichzeitig würden patriarchale Strukturen durchaus existieren, wie auch die Ausbeutung von Frauen. Auch Bahr kritisierte den Begriff des Altruismus, da dieser die Abwesenheit von Machtverhältnissen suggeriere. Sie verwies zudem auf den starken Fokus der Debatte auf Selbstbestimmung und stellte die Frage, ob hier nicht eine bedenkliche Verschiebung von einem Schutzrecht hin zu einem Leistungsrecht beobachtet werden könne.

Fazit dieser ersten Tagung: Das Interesse am Thema Leihmutterschaft ist groß. Der Einbezug der Perspektiven von Betroffenen ist wichtig, kann aber kritisch hinterfragt werden – vor allem, wenn er angesichts der Pluralität von Leihmutterschaftskonstellationen notgedrungen selektiv bleibt. Zu Wort kamen weder Leihmütter noch Kinder, die durch Leihmutterschaft auf die Welt gekommen sind. Durch die anschließenden kritischen Vorträge konnten die im ersten Block gewonnenen Erkenntnisse jedoch erweitert werden. Zu nennen ist hier vor allem die kritische Betrachtung des Altruismus-Begriffs und die Frage, ob Leihmutterschaft als reproduktive Arbeit gelten soll. Es bleibt auch die Frage, ob die Diskussion gesamtgesellschaftlich in einen Diskurs über das Verständnis von Selbstbestimmung eingebettet werden kann.

Die erste Veranstaltung wurde von der Evangelischen Akademie zu Berlin in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Tutzing organisiert und durchgeführt. Sie fand am 23. April 2024 als Online-Veranstaltung statt.

Eine Mutter leihen? Familienformen neu denken

Der Fokus der zweiten Tagung lag auf der Frage, inwiefern durch Leihmutterschaft neue Beziehungs- und Familienformen entstehen und wie über diese nachgedacht werden kann. Insgesamt war die Veranstaltung geprägt von intensiven Diskussionen ausgehend von fünf Fachvorträgen aus empirisch-kulturanthropologischer, medizinethischer, feministischer, sozialpsychologischer und juristischer Perspektive. Abgeschlossen wurde sie durch ein Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Friederike Wapler und Prof. Dr. Peter Dabrock, das für die Radiosendung “Bayern 2 debattiert” aufgezeichnet wurde.

Den Auftakt machte Prof. Anika König (Berlin), die ein Fallbeispiel aus ihrer langjährigen empirischen Forschung in den Mittelpunkt ihres Vortrags stellte. Der Fall beschreibt einen homosexuellen Mann, der mit Hilfe einer Leihmutter aus den USA ein Kind bekommt, jedoch kurz nach der Ankunft in Deutschland mit dem frisch geborenen Kind in eine Krise gerät und das Kind zur Adoption freigibt. In der Darstellung des Falls verdeutlichte die Anthropologin, dass sich Vorannahmen längst nicht nur auf die Ausbeutung der Leihmütter beziehen würden und dass die tatsächlichen Vulnerabilitäten und Konflikte in Leihmutterschaftsbeziehungen komplexer seinen als sie auf den ersten Blick schienen. Nicht das Austragen oder die Abgabe des Kindes sei für die Leihmutter im vorgestellten Fall belastend gewesen, sondern dass der Wunschvater das Kind dann wieder abgegeben habe und mit der krisenhaften Situation ihr gegenüber intransparent umgegangen sei. Zudem stellte sie die Frage, ob ein heterosexuelles Paar in der gleichen Situation nicht mehr Unterstützung erfahren hätte, das Kind bei sich zu behalten. Sie stellte so einen Bezug zu heteronormativen und potenziell diskriminierenden Strukturen und Diskursen her, die bei dem Thema immer mitbedacht werden sollten. König betonte  die Notwendigkeit, mehr mit den betroffenen Menschen zu sprechen, statt über sie zu reden.

Im zweiten Fachvortrag näherte sich Ruth Denkhaus (Hannover) dem Thema aus einer medizinethischen Perspektive, indem sie Leihmutterschaft zunächst in den Kontext anderer fremdnütziger medizinischer Eingriffe wie Blut- und Organspende oder die Teilnahme gesunder Proband*innen an klinischen Studien stellte. Sie betonte, dass für solche Eingriffe neben einem signifikanten Nutzen für Dritte und einem geringen oder zumindest vertretbaren Risiko für die Betroffenen die informierte Einwilligung der Betroffenen entscheidend sei, und wies auf die Debatte um unzulässige finanzielle Anreize (undue inducement) hin. Im zweiten Teil ihres Vortrags ging sie auf Vorschläge ein, Leihmutterschaft als eine Form von (Erwerbs-)Arbeit zu betrachten und entsprechend zu regulieren. Sie machte auf Unterschiede zwischen Leihmutterschaft und anderen Tätigkeiten aufmerksam, die eine Ausgestaltung von Leihmutterschaftsarrangements als Arbeits- oder Vertragsverhältnisse aus ihrer Sicht fragwürdig erscheinen ließen. In ihrem Fazit plädierte sie gegen das Votum der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin dafür, Leihmutterschaft entweder nur auf strikt “altruistischer” Basis zuzulassen, also ganz ohne finanzielle Kompensation – oder das Verbot der Leihmutterschaft beizubehalten und dafür über neue Formen geteilter Elternschaft nachzudenken.

Prof. Birgit Meyer-Lewis (Nürnberg) beleuchtete in einem dritten Vortrag psychosoziale Aspekte der Erfüllung des Kinderwunsches mit Hilfe Dritter – also nicht nur im Kontext von Leihmutterschaft, sondern bezogen auf alle Praktiken, bei denen Dritte involviert sind, angefangen bei der Samenspende. Sie betonte dabei zunächst die archaische und existentielle Dimension des Kinderwunsches, der sich dadurch qualitativ von anderen Wünschen im Leben unterscheide. Bei Nichterfüllung könne das Leben und der Lebensentwurf der Betroffenen massiv beeinflusst und in die Krise geraten. Auch eine Kinderwunschbehandlung stelle einen tiefen Einschnitt für die Betroffenen dar und sei immer auch mit Unsicherheiten verbunden. Dennoch würden reproduktionsmedizinische Verfahren immer häufiger in Anspruch genommen. Der Wunsch nach einer eigenen Familie sei ungebrochen stark. Angesichts der genannten Beobachtungen benötige es eine Ausgestaltung der Beratungsstrukturen, um die Menschen in dieser Phase angemessen zu begleiten. Auch die Aufklärung über den Erhalt von Fertilität erhalte immer mehr Bedeutung.

Den ersten Tag der Tagung beschloss die Publizistin Dr. Antje Schrupp (Frankfurt a.M.) mit Aspekten einer feministischen Ethik. Der Vortrag zielte darauf ab, Reproduktion aus der Perspektive von Schwangerschaft zu betrachten. Obwohl alle Menschen geboren werden müssen, könne nur ein Teil der Bevölkerung gebären. Traditionelle Vorstellungen von Geschlecht könnten zwar hinterfragt werden, jedoch nicht die zentrale reproduktive Differenz: Nur Personen mit Uterus können schwanger werden. Die traditionelle Sicht auf Fortpflanzung, bei der der Frau (bzw. der austragenden Person) eine wesentlich passive Rolle zugeschrieben werde, sei hingegen grundlegend kritisch zu hinterfragen. Im Gegenteil erweise sich die männliche Aktivität in der Reproduktion bei näherer Betrachtung als soziales Konstrukt. Die Debatte über biologische Vaterschaft könne daher als patriarchaler Versuch enttarnt werden, männliche Macht zu bewahren, während Mutterschaft durch Leihmutterschaft ebenfalls unklar geworden sei. Feministische Ethik böte Orientierung in diesem postpatriarchalen Durcheinander, indem sie körperliche Selbstbestimmung, reproduktive Gerechtigkeit und die Freiheit, vielfältige Familienformen zu leben, betone. Leihmutterschaft könne mit diesen Prinzipien vereinbar sein. Voraussetzung dafür sei die Freiheit der Gebärenden, selbst über Mutterschaft und Co-Elternschaft zu entscheiden. Schrupp unterstrich das Recht der Leihmütter, das Kind auch nach der Geburt bei sich behalten zu dürfen.

Am zweiten Tag reflektierte Prof. Friederike Wapler (Mainz), neben Claudia Wiesemann die zweite Koordinatorin der Arbeitsgruppe zwei der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die Ergebnisse der Kommission im Lichte der bisherigen Beiträge zur Tagung. Sie betonte, dass aus Sicht der Kommission bei einer Legalisierung von Leihmutterschaft vor allem das Näheverhältnis zwischen den Wunscheltern und der Leihmutter von Bedeutung sei. Mit Blick auf ihre unterschiedlichen Formen könne Leihmutterschaft nicht per se als Verstoß gegen die Menschenwürde gelten. Es müsse aber immer dafür gesorgt werden, die Leihmutter als Person und damit im Beziehungsgeflecht sichtbar zu machen.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass Leihmutterschaften auf der mikrosoziologischen Ebene meist deutlich komplexer sind als ethische Vorannahmen suggerieren. Erneut wurde deutlich, dass die Unterscheidung in kommerzielle und altruistische Formen von Leihmutterschaft hinterfragt werden kann. Leihmutterschaft im Gegensatz dazu ganz als Dienstleistung zu betrachten, bringt wiederum neue Herausforderungen mit sich, gerade auch im Lichte der Kommissionsergebnisse, die auf die Ausgestaltung der Beziehung fokussieren. Angesichts des Titels der Tagung erscheint die Diskussion über Familienkonzepte noch nicht ausreichend geführt, um Leihmutterschaft noch einmal vielschichtiger denken zu können.

Die zweite Tagung war eine Präsenzveranstaltung, die von der Evangelischen Akademie Tutzing in Zusammenarbeit mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD organisiert wurde. Die Tagung fand vom 06. bis zum 07. Mai 2024 in der Evangelischen Akademie Tutzing statt.

Justice in Surrogacy Relations

Die dritte Veranstaltung der Reihe hatte zum Ziel, internationale Perspektiven auf Leihmutterschaft auf ihre Gerechtigkeitsdimensionen zu befragen. Zu Beginn führten Dr. Julia Inthorn und Ruth Denkhaus in das Thema ein und boten einen Überblick über die rechtliche Situation in Deutschland. Darauf folgten vier Vorträge, die internationale empirische Zugänge und systematische Ansätze beleuchteten.

Dr. Veronika Siegl (Wien) begann mit einem Beitrag zu Ergebnissen ihrer Feldforschung in Russland und der Ukraine. Sie erklärte zunächst, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung die Rahmenbedingungen für Leihmutterschaft andere waren: Die Feldforschung fand vor Kriegsbeginn statt, außerdem wurde in Russland 2023 eine neue Regelung eingeführt, die Leihmutterschaft für aus dem Ausland stammende Paare verbietet. Die Studie konzentriere sich darauf, wie Wunscheltern und Leihmütter den Prozess der Leihmutterschaft erlebten. Siegl betonte, dass in Russland Unfruchtbarkeit stark stigmatisiert sei und Mutterschaft als integraler Bestandteil der weiblichen Identität gesehen werde, was ethische Urteile über Leihmutterschaft verstärke. Die Motivation der Leihmütter sei vornehmlich finanzieller Natur. Ihre Studie zeige, wie auf Grund des vorherrschenden normativ überhöhten Ideals der Kernfamilie die Notwendigkeit entstehe, dass die Leihmutterschaft im Verborgenen stattfinde. Die Leihmutter solle als Dienstleisterin einem anderen Paar bei der Gründung einer Kleinfamilie helfen, dabei aber nicht in Erscheinung oder in Beziehung treten. Dadurch habe sie in der Familiengeschichte keinen Platz, obwohl die Intimität des Geschehens nicht negiert werden könne. Um mit den dadurch entstehenden Spannungen umzugehen und die moralisch umstrittene Praxis der Leihmutterschaft vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen, müssten die Beteiligten eine spezifische Form von Arbeit leisten, die Siegl als “ethical labor” bezeichnete. Es entstehe eine Paradoxie der distanzierten Verbundenheit.

Dr. Marcin Smietana, Sozialwissenschaftler an der Ca' Foscari Universität in Venedig, stellte Ergebnisse von Forschungsprojekten in den USA, Kanada und dem Vereinigten Königreich vor. Er erläuterte, dass Leihmutterschaft in Großbritannien oft als Freundschaftsbeziehung betrachtet werde. Sie werde als altruistisch bezeichnet und sei innerhalb des Landes für einheimische Paare legal. Trotz der Legalität suchten einige Wunscheltern im Ausland nach Leihmüttern, da es einen Mangel an verfügbaren Leihmüttern gebe. Seine Interviews hätten gezeigt, dass Leihmutterschaft in den USA und Kanada oft als ethisch vertretbar betrachtet werde, während sie beispielsweise in Indien als unethisch gelte. Der Grund dafür sei vor allem der geringere Unterschied im Blick auf die ökonomische Ausstattung von Wunscheltern und Leihmüttern im angloamerikanischen Raum. In Großbritannien, den USA und Kanada werde Leihmutterschaft von den Beteiligten nicht als Arbeit, sondern als altruistischer Akt oder Geschenk angesehen und geframt. Trotz dieser altruistischen Rahmung sei Leihmutterschaft teuer und erfordere eine sorgfältige Planung. Durch die detaillierten Kalkulationen, die Wunscheltern dabei anstellen müssten, werde auch hier der kommerzielle Aspekt deutlich.

Im Anschluss berichtete die Kulturanthropologin Dr. Sheela Suryanarayanan (Hyderabad) über Ergebnisse ihrer Studien aus Indien. Sie erläuterte, dass der Rahmen der reproduktiven Gerechtigkeit einen Konflikt sichtbar mache zwischen Selbstbestimmung und der Vermeidung von Ausbeutung. In Indien habe sich die Leihmutterschaft aufgrund niedriger Kosten für Wunscheltern und geringerer Rechte für Leihmütter zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell entwickelt, was zu Ausbeutung, gesundheitlichen und psychologischen Belastungen führe, ohne die sozioökonomische Situation der austragenden Frauen wesentlich zu verbessern. Feldforschung zeige, dass Leihmütter in Indien unter Armut und Diskriminierung leiden würden. Gleichzeitig könnten sie eine starke emotionale Bindung zum Kind entwickeln, was die Komplexität und ethischen Dilemmata der Leihmutterschaft verdeutliche und grundlegende Fragen gerechter Ausgestaltung der Beziehungen aufwerfe. Zwar gebe es in Indien mittlerweile ein Verbot der Leihmutterschaft für ausländische Paare. Die Ergebnisse verwiesen aber auf einen auch international gegebenen strukturellen Problemkontext, dass sich Leihmutterschaftsbeziehungen in bestehende Gefüge gesellschaftlicher Ungleichheit einschreiben und diese fortsetzen und so zu bestehender Ausbeutung beitragen.

Im abschließenden Vortrag wurden von Prof. Jenny Gunnarsson Payne (Stockholm) Ergebnisse aus zwei empirischen Studien über die Situation in Schweden präsentiert. Obwohl innerhalb des schwedischen Gesundheitssystems keine auf die Herbeiführung einer Leihmutterschaft zielenden Behandlungen durchgeführt werden dürften, sei Leihmutterschaft als solche nicht explizit verboten. Viele Paare würden daher für eine Leihmutterschaft ins Ausland reisen. Die erste von Payne durchgeführte Studie, eine Diskursanalyse von 124 Texten, zeige eine stark polarisierte Debatte in Schweden. Hintergrund sei eine gesellschaftliche Entwicklung in Schweden von einem biologistischen und heteronormativen Diskurs hin zu einer offeneren Haltung, die auch LGBTQ-Rechte einschließe. Trotz der Spannungen bestehe Konsens über die Wichtigkeit der Rechte von Frauen und Kindern, gleichzeitig sei die mediale Debatte durch die besondere Präsenz der Narrative betroffener Paare nicht geeignet für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. Die zweite Studie, die Payne vorstellte, war ein Review qualitativer Untersuchungen. Dabei wurden verschiedene Beziehungstypen identifiziert. Deutlich wurde vor allem die große Variabilität verschiedener Leihmutterschaftskonstellationen, und dadurch die Notwendigkeit von Flexibilität und starken Institutionen für erfolgreiche Leihmutterschaftsprozesse.

Der Vergleich der unterschiedlichen internationalen Kontexte zeigt deutlich die Relevanz verschiedener lokaler Rahmenbedingungen, angefangen von rechtlichen Regulierungen über gesellschaftlich gegebene soziale Gefälle, bis hin zu Vorstellungen von Elternschaft und Arbeit für die jeweilige Form von Leihmutterschaft. Damit wird klar, dass einfache Gegenüberstellungen wie kommerzielle und altruistische Formen der Leihmutterschaft für die Frage ethisch vertretbarer Gestaltung und Rahmenbedingungen zu kurz greifen. Insbesondere muss das Ausbeutungspotenzial berücksichtigt werden. All dies verdeutlicht die Herausforderungen, die mit einer Regelung der Leihmutterschaft verbunden sind, und die Bedeutung von empirischer Forschung, um die Situation in Deutschland grundlegend zu verstehen.

Die dritte Veranstaltung fand am 29. Mai 2024 als Onlinetagung statt. Organisiert wurde sie vom Zentrum für Gesundheitsethik in Hannover. Die Reihe insgesamt wurde von der Evangelischen Akademie zu Berlin gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, dem Zentrum für Gesundheitsethik und der Evangelischen Akademie Tutzing durchgeführt.

Verfasser*innen des Berichtes sind David Samhammer,, Ruth Denkhaus, Simone Ehm, Julia Inthorn, Hendrik Meyer-Magister und Anne-Kathrin Pappert.

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2024 23 Apr

Öffentliche Tagung

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[DIE ANMELDUNG IST GESCHLOSSEN] Dürfen Paare oder Einzelpersonen ihre Kinder in Deutschland in Zukunft von einer Leihmutter austragen lassen? Darüber wird politisch kontrovers diskutiert. Die Veranstaltung beleuchtet, was reproduktive… weiter

Simone Ehm

Studienleiterin für Ethik in den Naturwissenschaften

Telefon (030) 203 55 - 502

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