Der Arbeitskreis Stadtpolitik nimmt das vom polnischen Staatspräsidenten Alexander Kwasniewski und dem deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler im April 2005 ausgerufene ’deutsch-polnische Jahr’ zum Anlass, die größte polnische Stadt der grenzübergreifenden Euroregion ’Pro Europa Viadrina’ zu besuchen.
Der Kontakt nach Gorzów wurde bei dieser stadtpolitischen Exkursion über die Partnerschaft einer Berliner Kirchengemeinde mit der evangelischen Diaspora-Gemeinde in Gorzów hergestellt. Ein Vorbesuch unserer Planungsgruppe im Mai diesen Jahres hat uns in der Vorstellung bestärkt, dass es eine unbedingt lohnende, aber in mancher Hinsicht auch andere Exkursion werden wird, als wir sie bisher unternommen haben.
Landsberg an der Warthe wurde 1257 durch den brandenburgischen Markgrafen Johann I. im Zuge der deutschen Besiedelung der Neumark als Bollwerk gegen die nahe gelegene polnische Festungsstadt Santok gegründet. Die wuchtige Backsteingotik der Marienkirche (1290) und die erhaltenen Reste der Stadtmauer zeugen von dieser Epoche. Landsberg gehörte damals zum schon 1125 durch einen polnischen Herzog gegründeten Bistum Lebus, das als Folge der Reformation 1598 zerfiel.
Der im dreißigjährigen Krieg verwüstete Ort erhielt 1773 das Stadtrecht. Tuchmacherei und Wollhandel brachten der Stadt wieder Wohlstand. Erhalten ist aus dieser Zeit der am Kai der Warthe gelegene Fachwerkspeicher von 1798. Die Eröffnung der Ostbahn Berlin-Danzig im Jahr 1857 verschaffte der Stadt eine rasche wirtschaftliche Entwicklung. Als Folge der nachnapoleonischen Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress wurde Landsberg 1818 Kreisstadt der preußischen Provinz Brandenburg.
Victor Klemperer wurde 1881 in Landsberg als Sohn des dortigen Rabbiners geboren und legte 1902 am königlichen Gymnasium die Reifeprüfung ab. Die Synagoge wurde in der ’Kristallnacht’ 1938 niedergebrannt. Christa Wolf, selbst 1929 in Landsberg geboren, versucht in ihrem autobiographischen Roman ’Kindheitsmuster’, sich anlässlich eines Besuches in Gorzów in den frühen 70er Jahren auch an dieses Ereignis zu erinnern.
Die Stadt hatte 1939 etwa 50.000 Einwohner. In den Labors eines Zweigwerks der IG Farben wurde in den letzten Kriegsjahren die synthetische Faser Perlon entwickelt. Ende Januar 1945 eroberte die Rote Armee die Stadt. Mehr als ein Drittel der Bausubstanz war zerstört. Die Kaserne, in der Gottfried Benn 1943 als Wehrmachtsarzt seinen ’Roman des Phänotyp’ verfasste, diente dem sowjetischen NKWD bis Anfang 1946 als Speziallager für Internierte aus dem Berliner Raum. Durch die Abkommen von Jalta und Potsdam bestimmten die Alliierten die Oder zur deutschen Grenze. Die Neumark kam zu Polen. Aus Landsberg wurde Gorzów. Die geflohene und vertriebene deutsche Bevölkerung wurde durch Siedler überwiegend aus dem benachbarten Großpolen (Wielkopolskie) ersetzt.
Das Zentrum der in den 60er Jahren durch Neubausiedlungen kräftig erweiterten Stadt wurde in den 80er Jahren umgestaltet. Die Stadt ist seit 1999 Hauptstadt der Woiwodschaft Lebus und zählt etwa 125.000 Einwohner.
Fabriken der Kunststoffproduktion, der Elektrotechnik, der Pharmazie und des Maschinenbaus bilden die wirtschaftliche Basis der Stadt. Gorzów hat eine junge Bevölkerung: Nur jeder zehnte Bürger ist älter als 60 Jahre alt.
Wir werden bei unserem Besuch der Stadt einen Streifzug durch die Stadtgeschichte unternehmen und ein wenig auf Spurensuche gehen. Das Hauptinteresse gilt allerdings der gegenwärtigen Entwicklung, besonders den kommunalen Perspektiven nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union, sowie aktuellen stadtpolitischen Fragen, wie der Revitalisierung des historischen Zentrums, dem Umgang mit Baudenkmalen und denkmalwerter Substanz, der Erhaltung der zahlreichen kleinen Parkanlagen, der Verknüpfung des Flussufers mit dem Stadtraum, der Lösung belastender Verkehrsprobleme u.ä. Nicht zuletzt werden wir etwas erfahren über die Situation der kleinen evangelischen Gemeinde in einem beherrschenden katholischen Umfeld.
Anders als bei unseren bisherigen Exkursionen ist das Programm zum Zeitpunkt unserer heutigen Einladung noch nicht vollständig ’festgezurrt’. Wir bitten dennoch schon jetzt um verbindliche Anmeldung, zumal die Größe der Reisegruppe auf 30 Teilnehmer begrenzt werden muss.
Wir werden die Teilnehmer rechtzeitig über das Tagesprogramm informieren. Sicher sind schon jetzt der Beginn und das Ende der Exkursion:
Hinfahrt
07.36 Uhrab Berlin-Lichtenberg RB 5807 Gleis 15 nach Kostrzyn
09.02 Uhrab Kostrzyn D 82100
09.48 Uhran Gorzów Wielkopolski
Rückfahrt
17.40 Uhrab Gorzów Wielkopolski 33329
19.02 Uhrab Kostrzyn RB 5830
20.28 Uhran Berlin-Lichtenberg