Das Jahr 2005 steht nicht nur für den 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern auch für die Erinnerung an ein neues Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen. An dessen An-fang standen die Versöhnungsinitiativen der Kirchen: die 1965 publizierte Denkschrift der Evangeli-schen Kirche in Deutschland über „die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ und der im gleichen Jahr geführte Briefwechsel zwischen dem deutschen und polnischen Episkopat. Sie stellten überlieferte Feindbilder in Frage, entwickelten neue Perspektiven auf die deutsch-polnische Beziehungsgeschichte und legten das Fundament für einen offenen deutsch-polnischen Dialog.
Anlässlich ihres 40. Jahrestages wollen wir die kirchlichen Initiativen im Rahmen einer wissenschaftli-chen Tagung würdigen. Nicht vergessen werden sollen dabei aber auch die Aktivitäten evangelischer und katholischer Laien, die sich im 1962 veröffentlichten Tübinger Memorandum und dem 1968 vom Bensberger Kreis vorgelegten „Polenmemorandum“ Gehör verschafften. Ein besonderes Augenmerk der Tagung gilt überdies den Wechselwirkungen zwischen kirchlichem Engagement, „neuer Ostpolitik“ und staatlicher Verständigung, die – wie Willy Brandt anlässlich des Warschauer Vertrags rückblickend feststellte – von den Kirchen in entscheidender Weise „psychologisch vorbereitet“ worden ist.
Die Tagung will die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Aussöhnungsbemühungen nachzeichnen und deren Folgen untersuchen – wobei kirchen- und politik- wie sozial- und kulturgeschichtliche Per-spektiven entwickelt werden sollen. Die Veranstalter möchten die Perspektiven zusammenführen, je-doch auch Forschungsdesiderate und kontroverse Interpretationen erkennbar werden lassen. Die Dis-kussion über offene Fragen und unterschiedliche Deutungen soll ein wesentlicher Teil der Veranstaltung sein.
Im einzelnen wollen wir folgenden Fragen nachgehen: Welche Zusammenhänge bestanden zwischen den kirchlichen Versöhnungsinitiativen und der Entspannungspolitik der 1960er Jahre? Welche Gegen-bewegungen und gesellschaftlichen Konflikte rief das kirchliche Engagement in Polen und Deutschland hervor? Inwiefern gingen die Bemühungen der kirchlichen und politischen Eliten in ein breites gesell-schaftliches Engagement über? Welchen Beitrag leisteten Initiativen aus der DDR für die Entfaltung des deutsch-polnischen Dialogs? Welche Rolle spielten das kirchliche Versöhnungswerk und die „neue Ostpolitik“ in den Auseinandersetzungen mit der polnischen Oppositionsbewegung der 1980er Jahre? Und welche Bedeutung haben die kirchlichen Versöhnungsinitiativen in der gegenwärtigen Erinnerung?
Prof. Dr. Friedhelm Boll, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn/Berlin
Ludwig Mehlhorn, Evangelische Akademie zu Berlin
Prof. Dr. Klaus Ziemer, Deutsches Historisches Institut Warschau
Freitag, 4. November 2005
10.00 Uhr Anreise und Anmeldung
11.00 Uhr Begrüßung und Einführung
11.30 Uhr Sektion I - Die evangelischen Initiativen der 1960er Jahre
Impulsgeber für die Aussöhnung: Das Tübinger Memorandum
Die Ost-Denkschrift der EKD: Innerkirchliche Diskussion und gesellschaftliches Echo
Prof. Dr. Martin Greschat, Gießen-Münster
Kommentar: Dr. Andreas Kossert, Deutsches Historisches Institut, Warschau
13.00 Uhr Mittagspause
14.15 Uhr Sektion II - Die katholischen Initiativen der 1960er Jahre
Die Versöhnungsinitiative der polnischen Bischöfe – Historischer Kontext, Entstehung, Reaktionen
Dr. Robert Żurek, Berlin-Warschau
Der deutsche Katholizismus im Aufbruch? Katholisches Milieu und deutsch-polnisches Verhältnis
1965-72
PD Dr. Thomas Großbölting, BStU Abteilung Bildung und Forschung, Berlin
Co-Referat: Der Bensberger Kreis als Akteur im deutsch-polnischen Verhältnis
Prof. Dr. Friedhelm Boll, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Kommentatoren für die Sektion:
Prof. Dr. Gottfried Erb, Gießen
16.15 Uhr Kaffeepause
16.45 Uhr Sektion III - Versöhnungsinitiativen und „neue Ostpolitik“
Versöhnung, Aussöhnung, Normalisierung – Neue Perspektiven in der Entspan-nungspolitik der 60er Jahre aus Sicht der „neuen Ostpolitik“ und des Gomułka-Regimes
Prof. Dr. Dieter Bingen, Deutsches Polen-Institut, Darmstadt
Gegenspieler der Aussöhnung? Die Oder-Neiße-Grenze, die Vertriebenen und die bundesdeutsche Parteienlandschaft
Dr. phil. habil. Matthias Stickler, Würzburg
Kommentar: Winfried Lipscher, Berlin (angefragt)
18.45 Uhr Abendessen
Samstag, 5. November 2005
08.30 Uhr Frühstück
09. 15 Uhr Sektion IV - Aussöhnung als gesellschaftlicher Prozess
Nicht-staatliche Akteure im deutsch-polnischen Verhältnis
Basil Kerski, Deutsch-polnisches Magazin „Dialog“, Berlin
Verständigung und Aussöhnung mit Polen in der DDR
Dr. Theo Mechtenberg, Gesamteuropäisches Studienwerk e.V., Vlotho
Kommentar: Dr. Burkhard Olschowsky, Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg
11.00 Uhr Kaffeepause
11.15 Uhr Sektion V - Aussöhnung und Verständigung vor neuen Herausforderungen
Die Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses in den 1980er Jahren
Dr. Kazimierz Wóycicki, Institut des Nationalen Gedenkens, Stettin
Co-Referat: Willy Brandt, die SPD und die deutsche Entspannungspolitik gegenüber Polen in den
1980er Jahren
Dr. Bernd Rother, Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Berlin
Kommentar: Ludwig Mehlhorn, Evangelische Akademie zu Berlin
13.00 Uhr Mittagessen
14.00 Uhr Sektion VI - Die Gegenwart historischer Erfahrungen
Aussöhnung und Verständigung zwischen Deutschland und Polen: Historische Er-fahrungen und aktuelle Perspektiven
Dr. Peter Bender, Berlin
Abschlussdiskussion: Die kirchlichen Versöhnungsinitiativen in der aktuellen Erinnerungskultur und Politik
Einführung und Leitung: Prof. Dr. Klaus Ziemer, Deutsches Historisches Institut, Warschau
Teilnehmer auf dem Podium:
Prof. Dr. Hans Henning Hahn, Oldenburg
Prof. Dr. Jerzy Kranz, Botschafter a.D., Warschau
Prof. Dr. Friedhelm Boll, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Prof. Dr. Anna Wolff-Powęska, West-Institut, Posen
17.00 Uhr Ende der Tagung
Die Konferenzsprache ist Deutsch