Als nach dem Mauerfall die deutsche Wiedervereinigung in den Blick kam, setzten sich auch die politisch bewegten Frauen aus Ost und West an einen Tisch, um Pläne für das neue Deutschland zu schmieden. Aber zwischen den jeweils systemgeprägten Auffassungen traten sehr schnell Differenzen zu Tage. Für die meisten Ost-Frauen war es normal, berufstätig zu sein, Kinder zu haben, sich wenn notwendig vom Ehemann zu trennen und über eine Abtreibung frei entscheiden zu können.
Den West-Frauen kamen die „Ost-Muttis“ dennoch oft merkwürdig provinziell vor, weil sie mit Feminismus kaum zu tun haben wollten und sich als wenig kämpferisch erwiesen. Schließlich hatte die anhaltende (männlich dominierte) staatliche Bevormundung auch ihre Spuren hinterlassen. Die „West-Emanzen“ wirkten wiederum auf viele DDR-Frauen exaltiert und mit ihrer Konzentration auf Geschlechterfragen unpolitisch. Während sich viele DDR-Frauen durch die Revolution 1989 mehr Freiheit und Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen erhofften, wurden sie im wiedervereinigten Deutschland mit einem überwunden geglaubten Frauenleitbild konfrontiert und in die traditionelle Rolle verwiesen.
Anknüpfend an die Tagung zur „68er Bewegung in weiblicher Perspektive“, die im Frühjahr in Neudietendorf in Thüringen stattfand, möchten wir in ein Gespräch darüber kommen, mit welchen Motiven und Zielen sich Frauen in oppositionellen Bewegungen der 70er und 80er Jahre engagierten und welchen Einfluss sie auf die Umbruchereignisse und die Gestaltung der deutschen Einheit nahmen. Wir werden uns darüber austauschen, was Ost- und West-Frauen in dieser Zeit verband und was sie unterschied. Wir werden diskutieren, wie sich die Lebensmöglichkeiten für Frauen in Ost und West in den vergangenen zwei Jahrzehnten veränderten und welche Bedeutung die Revolten von einst für die junge Frauengeneration heute haben. Zugang zu diesen Themen werden wir vor allem durch biographisches Erzählen suchen.
Dazu laden wir alle interessierten Frauen und Männer herzlich ein.
Dorothea Höck
Evangelische Akademie Thüringen
Dr. Anne Ulrich
Heinrich-Böll-Stiftung
Dr. Marina Grasse
OWEN e.V.
Ulrike Poppe
Evangelische Akademie zu Berlin
Freitag, 31.Oktober 2008
14.00 Uhr Anmeldung
14.30 Uhr Kaffee/Kuchen
15.00 Uhr Begrüßung und Einführung
Dorothea Höck, Ev. Akademie Thüringen
Ulrike Poppe, Ev. Akademie zu Berlin
I. FRAUEN IM AUFBRUCH
15.15 Uhr Selbstbestimmung contra sozialistisches Frauenleitbild
Wie Frauen die 70er und 80er Jahre in der DDR erlebt haben
Petra Streit, Mitbegründerin von Frauen für den Frieden Weimar, z. Z. Vorstandsmitglied der Bürgerstiftung und Stadträtin in Weimar
Samirah Kenawi, Mitbegründerin des Frauenzentrums Fennpfuhl, Gründerin des Archivs der ostdeutschen Frauenbewegung GrauZone
Gesprächsleitung:
Dr. Anne Ulrich, Koordinatorin der Grünen Akademie in der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr Neues Frauenbewusstsein - langer Atem
Wie Frauen die 70er und 80er Jahre in der Bundesrepublik erlebt haben
Dr. Christina Thürmer-Rohr, 1976 Gründerin des Studienschwerpunkts Frauenforschung an der PH Berlin, Mitbegründerin und Vorstand des Vereins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V., Köln, Professorin an der Technischen Universität Berlin
Marianne Weg, Frauenpolitikerin und Gender-Expertin, Wiesbaden
Gesprächsleitung:
Dr. Ingrid Miethe, Professorin für Allgemeine Pädagogik Fachbereich Sozialarbeit / Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule in Darmstadt
18.15 Uhr Abendessen
19.30 Uhr Erzählabend
Eingeleitet mit Texten von Annette Simon
aus: „Was Frauen verrückt macht“ und „East goes West“
gelesen von Franziska Groszer, Berlin
Gesprächsleitung:
Dorothea Höck, Ev. Akademie Thüringen
Ulrike Poppe, Ev. Akademie zu Berlin
Ende gegen 21.30 Uhr
Samstag, 01. November 2008
II. FRAUEN VERÄNDERN DIE GESELLSCHAFT
9.00 Uhr Frauen in politischen Aktionen –
und Frauen in frauenpolitischen Aktionen
Gespräch mit Akteurinnen der 80er Jahre
Halina Bendkowski, ehem. Bundessprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland, Mitbegründerin des Weltfrauensicherheitsrates, Begründerin des politisch-soziologischen Konzepts der Geschlechterdemokratie, Berlin
Barbara Sengewald, Frauengruppen Erfurt – Frauen für Veränderung, z. Z. Betriebswirtin
Irena Kukutz, Mitbegründerin der Berliner Gruppe Frauen für den Frieden, z. Z. Mitarbeiterin in der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V.
Dr. Claudia Neusüß, 1987 Mitbegründerin der Frauengenossenschaft WeiberWirtschaft, z. Z. selbstständige Projekt- und Politikberaterin für nationale und internationale Organisationen im Profit- und Non-Profit-Bereich, Dozentin und freie Autorin
Moderation:
Dr. Anne Ulrich, Koordinatorin der Grünen Akademie in der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin
Dorothea Höck, Ev. Akademie Thüringen
11.00 Uhr Kaffeepause
11.30 Uhr Ohne uns ist kein Staat zu machen!
Gespräch mit Akteurinnen in Revolution und Einigungsprozess
Verfassung
PD Dr. Tine Stein, ehem. Geschäftsführerin der Bürgerinitiative Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder, z. Z. Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Transnationale Konflikte und Internationale Institutionen am Wissenschaftszentrum Berlin
Gewerkschaften
Dr. Renate Hürtgen, war aktiv am Aufbau von Basisinitiativen in der betrieblichen Wende 1989/90 beteiligt, z. Z. am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Forschungsschwerpunkt u.a.: Betrieblicher Alltag in der DDR
Regierung
Dr. Marina Grasse, Gleichstellungsbeauftragte in der Regierung de Maiziere, z. Z. Mitglied des Vorstands von OWEN e.V., Berlin
Parlament
Marianne Birthler, Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer, später des Bundestages, Ministerin in Brandenburg, z. Z. Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Berlin
Moderation:
Dr. Ingrid Miethe, Professorin für Allgemeine Pädagogik Fachbereich Sozialarbeit / Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule in Darmstadt
Ulrike Poppe, Ev. Akademie zu Berlin
13.30 Uhr Mittagessen
15.30 Uhr ARBEITSGRUPPEN
Alle Frauen sind mutig! stark! schön!
Frauen im Einigungsprozess
AG I – Erwerbsarbeit (u.a. mit Dr. Renate Hürtgen)
AG II – Politik (u.a. mit Halina Bendkowski und Petra Streit)
AG III – Familie (u.a. mit Irena Kukutz und Dr. Claudia Neusüß)
AG IV – Kultur, Wissenschaft, Bildung, Medien (u.a. mit Barbara Sengewald und Dr. Christina Thürmer-Rohr)
18.00 Uhr Abendessen
19.30 Uhr Figuraler Einzelgang zeitgemäßer Erscheinungen
Filme, Fotografien, Ausstellungen und Performances der Künstlerinnengruppe Erfurt und von Exterra XX in den 80er Jahren
Gespräch mit Monique Förster, Kunsthaus Erfurt
Moderation:
Dorothea Höck, Ev. Akademie Thüringen
Sonntag, 02. November 2008
9.15 Uhr Andacht
Pfarrerin Dorothea Höck
9.45 Uhr Kaffeepause
III. EMANZIPATION WEITERDENKEN
10.00 Uhr Die Frauenfrage - Schnee von gestern?
Lebenspläne der Nach-Neunundachtziger
Manuela Bär, wissenschaftliche Mitarbeiterin von OWEN, Jg. 1970
Astrid Rothe-Beinlich, Frauenpolitische Sprecherin und Landesprecherin Thüringens von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, Jg. 1973
Jana Hensel, Journalistin und Autorin (u.a. Neue deutsche Mädchen), Jg. 1976
Dr. Mara Kuhl, Politologin, Beraterin für die öffentliche Verwaltung u.a. in Genderfragen, Jg. 1973
Moderation:
Dr. Marina Grasse, OWEN e.V.
12.30 Uhr Tagungsrückblick
13.00 Uhr Mittagessen und Ende der Tagung